Der Beitrag der Waldwirtschaft zum Aufbau eines - Deutscher Rat für ...
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turierung und – wo möglich – den räumlichen<br />
Verbund von seltenen Waldgesellschaften.<br />
Ausweisung großflächiger Waldschutzgebiete<br />
als „Urwäl<strong>der</strong> von morgen“ auf<br />
5 % <strong>der</strong> deutschen Waldfläche: Die Lebensbedingungen<br />
von Naturwäl<strong>der</strong>n mit<br />
unbeeinflusster Eigendynamik können<br />
sich nur in großflächigen (mehrere hun<strong>der</strong>t<br />
bis mehrere tausend Hektar) Waldschutzgebieten<br />
unter Ausschluss <strong>der</strong> forstwirtschaftlichen<br />
Nutzung entwickeln.<br />
4.1 Biotopverbund – <strong>der</strong> Urwald als<br />
Vorbild<br />
Urwäl<strong>der</strong> haben sich in ihrem Lebensraum<br />
über lange Zeiträume ohne menschlichen<br />
Einfluss entwickelt und mit bewährten Überlebensstrategien<br />
gegen die Konkurrenz an<strong>der</strong>er<br />
Ökosysteme behauptet. Die Fähigkeit,<br />
sich immer wie<strong>der</strong> zu regenerieren und die<br />
Konkurrenz <strong>der</strong> zahlreichen Bäume so zu<br />
steuern, dass dabei oft bestechende Holzqualitäten<br />
entstehen – diese Eigenschaften<br />
<strong>der</strong> europäischen Laub- und Bergmischurwäl<strong>der</strong><br />
ziehen zunehmend das Studieninteresse<br />
von Forstleuten auf <strong>der</strong> Suche nach<br />
naturnahen und effektiven Waldbautechniken<br />
an. Wie aber sieht ein natürlicher<br />
Wald aus? Diese Frage lässt sich in Mitteleuropa<br />
nicht einfach beantworten, denn es<br />
fehlt an Anschauungsobjekten. Für Forstwissenschaftler<br />
und Waldökologen sind<br />
deshalb die verbliebenen Urwaldreste im<br />
Alpenraum, Ostpolen, auf dem Balkan und<br />
in den Karpaten Orte von hoher wissenschaftlicher<br />
Bedeutung. Für den Schutz von<br />
natürlichen und naturnahen Wäl<strong>der</strong>n ist das<br />
Verständnis des natürlichen Ökosystems<br />
eine unverzichtbare Voraussetzung.<br />
Naturwäl<strong>der</strong> sind Musterbeispiele <strong>für</strong> einen<br />
Biotopverbund: Alle Requisiten des Öko-<br />
systems finden sich mit hoher Stetigkeit in<br />
enger Nachbarschaft nebeneinan<strong>der</strong>. Prozesse<br />
des Absterbens und Heranwachsens<br />
bilden den Urwald stetig um und verleihen<br />
ihm seinen Strukturenreichtum. Alte Bäume,<br />
sehr alte und tote Bäume in nahezu<br />
flächendecken<strong>der</strong> Verteilung sind das wesentliche<br />
Kennzeichen des Urwaldes und<br />
unterscheiden ihn ganz deutlich von unseren<br />
Wirtschaftswäl<strong>der</strong>n. Wo abgestorbene<br />
Bäume Licht durch das Kronendach des<br />
Waldes fallen lassen, wächst eine neue,<br />
mitunter baumartenreichere Generation des<br />
Urwaldes heran. Verschiedene Altersstadien,<br />
Verjüngungsdickichte, Lichtungen<br />
und Altholzbestände mit Baumriesen und<br />
mächtigen Totbäumen wechseln sich in einem<br />
mal großflächigen, mal kleinflächigen<br />
Nebeneinan<strong>der</strong> in zeitlicher Folge ab. Auf<br />
unterschiedliche Weise baut sich <strong>der</strong> Wald<br />
immer wie<strong>der</strong> von selbst auf. Entwicklungsstadien<br />
verschiedenen Alters sind in europäischen<br />
Laub- und Laubmischurwäl<strong>der</strong>n<br />
so kleinräumig miteinan<strong>der</strong> verzahnt, dass<br />
sich bereits auf einer Fläche von nur 0,5 ha<br />
immer eine Verjüngungsphase und wenigstens<br />
drei Baumgenerationen mit 60-jährigem<br />
Altersabstand befinden (KORPEL<br />
1992, 1995). Selbst die europäischen<br />
Buchenurwäl<strong>der</strong> werden von LEIBUND-<br />
GUT (1993) und KORPEL (1995) als<br />
ungleichaltrige, zwei- bis dreischichtige<br />
Bestände, in denen Baumhöhen und Durchmesser<br />
auf kleinster Fläche wechseln, charakterisiert.<br />
Die Verteilung von Bäumen<br />
unterschiedlichen Alters und Stammdurchmessers<br />
entspräche annähernd <strong>der</strong> in „gut<br />
aufgebauten Plenterwäl<strong>der</strong>n“ (LEIBUND-<br />
GUT 1993). <strong>Der</strong> hallenartige, einschichtige<br />
Bestandesaufbau, <strong>der</strong> die schlagweise genutzten<br />
Buchenhochwäl<strong>der</strong> aus Großschirmschlag<br />
kennzeichnet, ist hier selten und<br />
kommt nur auf kleinen Flächen von<br />
Zerfallsphase des Buchennaturwaldes im Naturschutzgebiet „Heilige Hallen“ in Mecklenburg-<br />
Vorpommern (Foto: C. Heinrich).<br />
höchstens 0,2 ha (!) vor (KORPEL mdl.<br />
Mittl. 1996, KÖLBEL 1996). Die vertikale<br />
und horizontale Strukturierung <strong>der</strong> Lauburwäl<strong>der</strong><br />
wird noch dadurch gesteigert, dass<br />
sich Entwicklungszyklen auf <strong>der</strong>selben Fläche<br />
überlappen. Die ausklingende Baumgeneration<br />
<strong>eines</strong> vorhergehenden Entwicklungszyklus<br />
stockt noch <strong>für</strong> lange Zeit<br />
über o<strong>der</strong> zwischen <strong>der</strong> Generation des nachfolgenden<br />
Zyklus. Neben aller Dynamik<br />
und Wandlungsfähigkeit zeichnet sich <strong>der</strong><br />
Naturwald vor allem durch seine Beständigkeit<br />
aus. Auf kleiner Fläche kann die Naturwalddynamik<br />
dramatische Verän<strong>der</strong>ungen<br />
herbeiführen. In <strong>der</strong> Flächensumme <strong>der</strong> beteiligten<br />
Biotop- und Strukturtypen ist hingegen<br />
langfristig eine erstaunliche Kontinuität<br />
vorzufinden (REMMERT 1987). An<br />
ein enges Raum-Zeit-Muster, d. h. eine stetig<br />
hohe Dichte (Verbund) von spezifischen<br />
Lebensraumstrukturen, hat sich ein bedeuten<strong>der</strong><br />
Anteil <strong>der</strong> Waldlebensgemeinschaft<br />
angepasst. Zum Beispiel können sich viele<br />
Totholz bewohnende Arten aufgrund ihrer<br />
eingeschränkten Fernsiedlungsfähigkeit nur<br />
über geringe Distanzen verbreiten und sind<br />
daher auf einen räumlich engen Verbund<br />
von Totholz angewiesen (GEISER 1989b,<br />
GROSSE-BRAUCKMANN 1992, 1994,<br />
RAUH 1993, SCHERZINGER 1996). <strong>Der</strong><br />
Totholzreichtum <strong>der</strong> Urwäl<strong>der</strong>, in denen<br />
sich die Entwicklungsgeschichte dieser Arten<br />
vollzog, zwang sie nicht zur Ausbildung<br />
einer hohen Mobilität als energieaufwändige<br />
Überlebensstrategie (RAUH 1993). Aus tierökologischer<br />
Sicht werden <strong>für</strong> Wäl<strong>der</strong> 500<br />
bis 800 m als maximale Entfernungen genannt,<br />
die noch einen genetischen Austausch<br />
zulassen (ALBRECHT 1990, DRL 1983,<br />
MADER & MÜHLENBERG 1981). Nach<br />
HEYDEMANN (1986) liegt in <strong>der</strong> „Entnetzung“,<br />
also <strong>der</strong> Unterbrechung des Verbundes<br />
von Lebensraumstrukturen, das<br />
höchste Gefährdungsrisiko <strong>für</strong> Biodiversität,<br />
Konstanz und Funktion <strong>der</strong> Ökosysteme.<br />
Gehen wichtige Lebensraumrequisiten verloren<br />
o<strong>der</strong> sinkt die Dichte ihrer räumlichen<br />
Verbreitung unter einen kritischen Wert,<br />
können ortsgebundene (sessile) Arten nicht<br />
durch Migration auf entfernte Standorte<br />
ausweichen. Eine Wie<strong>der</strong>besiedlung kann<br />
sehr lange Zeiträume in Anspruch nehmen,<br />
<strong>der</strong> Verlust „ausgereifter“, vollständiger<br />
Lebensgemeinschaften ist möglicherweise<br />
irreparabel. Reifungsprozesse von Waldökosystemen<br />
können geschichtliche Dimensionen<br />
annehmen. Beispielsweise finden<br />
sich sog. „Urwaldreliktarten“ ausschließlich<br />
in historisch sehr alten Wäl<strong>der</strong>n, die<br />
einerseits seit Jahrhun<strong>der</strong>ten o<strong>der</strong> sogar Jahrtausenden<br />
bestehen und an<strong>der</strong>erseits eine<br />
ununterbrochene Kontinuität von Lebensraumstrukturen<br />
aufweisen (GEISER 1989a,<br />
RIECKEN 1992).