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Der Beitrag der Waldwirtschaft zum Aufbau eines - Deutscher Rat für ...

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38<br />

turierung und – wo möglich – den räumlichen<br />

Verbund von seltenen Waldgesellschaften.<br />

Ausweisung großflächiger Waldschutzgebiete<br />

als „Urwäl<strong>der</strong> von morgen“ auf<br />

5 % <strong>der</strong> deutschen Waldfläche: Die Lebensbedingungen<br />

von Naturwäl<strong>der</strong>n mit<br />

unbeeinflusster Eigendynamik können<br />

sich nur in großflächigen (mehrere hun<strong>der</strong>t<br />

bis mehrere tausend Hektar) Waldschutzgebieten<br />

unter Ausschluss <strong>der</strong> forstwirtschaftlichen<br />

Nutzung entwickeln.<br />

4.1 Biotopverbund – <strong>der</strong> Urwald als<br />

Vorbild<br />

Urwäl<strong>der</strong> haben sich in ihrem Lebensraum<br />

über lange Zeiträume ohne menschlichen<br />

Einfluss entwickelt und mit bewährten Überlebensstrategien<br />

gegen die Konkurrenz an<strong>der</strong>er<br />

Ökosysteme behauptet. Die Fähigkeit,<br />

sich immer wie<strong>der</strong> zu regenerieren und die<br />

Konkurrenz <strong>der</strong> zahlreichen Bäume so zu<br />

steuern, dass dabei oft bestechende Holzqualitäten<br />

entstehen – diese Eigenschaften<br />

<strong>der</strong> europäischen Laub- und Bergmischurwäl<strong>der</strong><br />

ziehen zunehmend das Studieninteresse<br />

von Forstleuten auf <strong>der</strong> Suche nach<br />

naturnahen und effektiven Waldbautechniken<br />

an. Wie aber sieht ein natürlicher<br />

Wald aus? Diese Frage lässt sich in Mitteleuropa<br />

nicht einfach beantworten, denn es<br />

fehlt an Anschauungsobjekten. Für Forstwissenschaftler<br />

und Waldökologen sind<br />

deshalb die verbliebenen Urwaldreste im<br />

Alpenraum, Ostpolen, auf dem Balkan und<br />

in den Karpaten Orte von hoher wissenschaftlicher<br />

Bedeutung. Für den Schutz von<br />

natürlichen und naturnahen Wäl<strong>der</strong>n ist das<br />

Verständnis des natürlichen Ökosystems<br />

eine unverzichtbare Voraussetzung.<br />

Naturwäl<strong>der</strong> sind Musterbeispiele <strong>für</strong> einen<br />

Biotopverbund: Alle Requisiten des Öko-<br />

systems finden sich mit hoher Stetigkeit in<br />

enger Nachbarschaft nebeneinan<strong>der</strong>. Prozesse<br />

des Absterbens und Heranwachsens<br />

bilden den Urwald stetig um und verleihen<br />

ihm seinen Strukturenreichtum. Alte Bäume,<br />

sehr alte und tote Bäume in nahezu<br />

flächendecken<strong>der</strong> Verteilung sind das wesentliche<br />

Kennzeichen des Urwaldes und<br />

unterscheiden ihn ganz deutlich von unseren<br />

Wirtschaftswäl<strong>der</strong>n. Wo abgestorbene<br />

Bäume Licht durch das Kronendach des<br />

Waldes fallen lassen, wächst eine neue,<br />

mitunter baumartenreichere Generation des<br />

Urwaldes heran. Verschiedene Altersstadien,<br />

Verjüngungsdickichte, Lichtungen<br />

und Altholzbestände mit Baumriesen und<br />

mächtigen Totbäumen wechseln sich in einem<br />

mal großflächigen, mal kleinflächigen<br />

Nebeneinan<strong>der</strong> in zeitlicher Folge ab. Auf<br />

unterschiedliche Weise baut sich <strong>der</strong> Wald<br />

immer wie<strong>der</strong> von selbst auf. Entwicklungsstadien<br />

verschiedenen Alters sind in europäischen<br />

Laub- und Laubmischurwäl<strong>der</strong>n<br />

so kleinräumig miteinan<strong>der</strong> verzahnt, dass<br />

sich bereits auf einer Fläche von nur 0,5 ha<br />

immer eine Verjüngungsphase und wenigstens<br />

drei Baumgenerationen mit 60-jährigem<br />

Altersabstand befinden (KORPEL<br />

1992, 1995). Selbst die europäischen<br />

Buchenurwäl<strong>der</strong> werden von LEIBUND-<br />

GUT (1993) und KORPEL (1995) als<br />

ungleichaltrige, zwei- bis dreischichtige<br />

Bestände, in denen Baumhöhen und Durchmesser<br />

auf kleinster Fläche wechseln, charakterisiert.<br />

Die Verteilung von Bäumen<br />

unterschiedlichen Alters und Stammdurchmessers<br />

entspräche annähernd <strong>der</strong> in „gut<br />

aufgebauten Plenterwäl<strong>der</strong>n“ (LEIBUND-<br />

GUT 1993). <strong>Der</strong> hallenartige, einschichtige<br />

Bestandesaufbau, <strong>der</strong> die schlagweise genutzten<br />

Buchenhochwäl<strong>der</strong> aus Großschirmschlag<br />

kennzeichnet, ist hier selten und<br />

kommt nur auf kleinen Flächen von<br />

Zerfallsphase des Buchennaturwaldes im Naturschutzgebiet „Heilige Hallen“ in Mecklenburg-<br />

Vorpommern (Foto: C. Heinrich).<br />

höchstens 0,2 ha (!) vor (KORPEL mdl.<br />

Mittl. 1996, KÖLBEL 1996). Die vertikale<br />

und horizontale Strukturierung <strong>der</strong> Lauburwäl<strong>der</strong><br />

wird noch dadurch gesteigert, dass<br />

sich Entwicklungszyklen auf <strong>der</strong>selben Fläche<br />

überlappen. Die ausklingende Baumgeneration<br />

<strong>eines</strong> vorhergehenden Entwicklungszyklus<br />

stockt noch <strong>für</strong> lange Zeit<br />

über o<strong>der</strong> zwischen <strong>der</strong> Generation des nachfolgenden<br />

Zyklus. Neben aller Dynamik<br />

und Wandlungsfähigkeit zeichnet sich <strong>der</strong><br />

Naturwald vor allem durch seine Beständigkeit<br />

aus. Auf kleiner Fläche kann die Naturwalddynamik<br />

dramatische Verän<strong>der</strong>ungen<br />

herbeiführen. In <strong>der</strong> Flächensumme <strong>der</strong> beteiligten<br />

Biotop- und Strukturtypen ist hingegen<br />

langfristig eine erstaunliche Kontinuität<br />

vorzufinden (REMMERT 1987). An<br />

ein enges Raum-Zeit-Muster, d. h. eine stetig<br />

hohe Dichte (Verbund) von spezifischen<br />

Lebensraumstrukturen, hat sich ein bedeuten<strong>der</strong><br />

Anteil <strong>der</strong> Waldlebensgemeinschaft<br />

angepasst. Zum Beispiel können sich viele<br />

Totholz bewohnende Arten aufgrund ihrer<br />

eingeschränkten Fernsiedlungsfähigkeit nur<br />

über geringe Distanzen verbreiten und sind<br />

daher auf einen räumlich engen Verbund<br />

von Totholz angewiesen (GEISER 1989b,<br />

GROSSE-BRAUCKMANN 1992, 1994,<br />

RAUH 1993, SCHERZINGER 1996). <strong>Der</strong><br />

Totholzreichtum <strong>der</strong> Urwäl<strong>der</strong>, in denen<br />

sich die Entwicklungsgeschichte dieser Arten<br />

vollzog, zwang sie nicht zur Ausbildung<br />

einer hohen Mobilität als energieaufwändige<br />

Überlebensstrategie (RAUH 1993). Aus tierökologischer<br />

Sicht werden <strong>für</strong> Wäl<strong>der</strong> 500<br />

bis 800 m als maximale Entfernungen genannt,<br />

die noch einen genetischen Austausch<br />

zulassen (ALBRECHT 1990, DRL 1983,<br />

MADER & MÜHLENBERG 1981). Nach<br />

HEYDEMANN (1986) liegt in <strong>der</strong> „Entnetzung“,<br />

also <strong>der</strong> Unterbrechung des Verbundes<br />

von Lebensraumstrukturen, das<br />

höchste Gefährdungsrisiko <strong>für</strong> Biodiversität,<br />

Konstanz und Funktion <strong>der</strong> Ökosysteme.<br />

Gehen wichtige Lebensraumrequisiten verloren<br />

o<strong>der</strong> sinkt die Dichte ihrer räumlichen<br />

Verbreitung unter einen kritischen Wert,<br />

können ortsgebundene (sessile) Arten nicht<br />

durch Migration auf entfernte Standorte<br />

ausweichen. Eine Wie<strong>der</strong>besiedlung kann<br />

sehr lange Zeiträume in Anspruch nehmen,<br />

<strong>der</strong> Verlust „ausgereifter“, vollständiger<br />

Lebensgemeinschaften ist möglicherweise<br />

irreparabel. Reifungsprozesse von Waldökosystemen<br />

können geschichtliche Dimensionen<br />

annehmen. Beispielsweise finden<br />

sich sog. „Urwaldreliktarten“ ausschließlich<br />

in historisch sehr alten Wäl<strong>der</strong>n, die<br />

einerseits seit Jahrhun<strong>der</strong>ten o<strong>der</strong> sogar Jahrtausenden<br />

bestehen und an<strong>der</strong>erseits eine<br />

ununterbrochene Kontinuität von Lebensraumstrukturen<br />

aufweisen (GEISER 1989a,<br />

RIECKEN 1992).

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