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Institute Institutes - Fakultät für Architektur - TUM

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schen Bezügen usw. bezieht <strong>Architektur</strong> ihre ästhetische Qualität.<br />

Diese Qualität kann von Experten und Laien gleichermaßen<br />

empfunden werden. Sie muss nicht spektakulär<br />

daherkommen. Vielmehr entfaltet die <strong>Architektur</strong> ihre Ausdruckskraft<br />

eher beiläufig /subtil, wie es Walter Benjamin treffend<br />

formulierte: <strong>Architektur</strong> wird rezipiert “weniger in einem<br />

gespannten Aufmerken als in einem beiläufigen Bemerken“.<br />

Die Kenntnis und Beherrschung dieser Zusammenhänge<br />

eröffnet Architekten zudem einen großen Bereich weiterer<br />

Tätigkeitsfelder. Alle Berufe, die in Gebieten mit ‘real world<br />

problems’ arbeiten, brauchen dringend schöpferische Menschen,<br />

die systematisch kreative Designtechniken im weitesten<br />

Sinn eingeübt haben und die entsprechend konzeptionell<br />

denken können.<br />

2 Seit etwa hundert Jahren wird <strong>Architektur</strong> als die ‚Kunst,<br />

Raum zu artikulieren’, begriffen. Artikulation bezieht sich<br />

einerseits auf die semantische Kapazität von <strong>Architektur</strong>, die<br />

durch die Semiotik ins Spiel gebracht und während der Postmoderne<br />

besonders betont wurde. Aber Artikulation meint<br />

mehr als inhaltlicher Ausdruck oder gar narrative Bedeutung.<br />

Damit ist die Vielzahl an räumlichen Werkzeugen und Maßnahmen<br />

angesprochen, die sich im Laufe der Geschichte entwickelt<br />

haben, um komplexe räumliche Beziehungen zu<br />

bewältigen, und die zugleich die Möglichkeit individueller<br />

Erfahrung einbeziehen, wie etwa: Abschirmung und Verbindung,<br />

Einschluss und Öffnung, Integration und Ausgrenzung,<br />

Ausrichtung und Konfrontation, Exposition und Introversion<br />

oder Streuung und Zentrierung. Und diese Aufzählung könnte<br />

noch erheblich erweitert werden.<br />

Die meisten dieser Sachverhalte kommen nicht isoliert daher,<br />

sie machen auch nur einen Teil der Herausforderungen aus,<br />

zumeist ‚ill-defined problems’, die in einem Projekt zu bewältigen<br />

sind. Das dazu benötigte Repertoire architektonischer<br />

Mittel bildet die Grundlage der ‚Kompetenz’ (im strukturalistischen<br />

Sinn) von <strong>Architektur</strong>. Sie betreffen beispielsweise:<br />

▪ die Wechselwirkung von räumlicher Dichte und Porosität,<br />

Geschlossenheit und Offenheit, Enge und Weite,<br />

▪ das Figur-Grund Verhältnis und die reziproke Beziehung<br />

von Leere und Masse mit der besonderen Rolle von Zwischenraum.<br />

▪ das Raum-Körper-Kontinuum, durch das Raum sowohl<br />

innerhalb als auch außerhalb von Baumassen geformt<br />

wird, Körper(-masse) und (Hohl-)Raum als Zustände desselben<br />

Mediums begriffen werden.<br />

▪ die Materialität und die charakteristischen Raumwirkungen<br />

von Materialien.<br />

▪ die Vielfalt von Oberflächen, raumhaltig, geschichtet,<br />

transparent, reflektierend, dick oder dünn und mit mannigfaltigen<br />

taktilen Eigenschaften.<br />

Alle diese räumlichen Sachverhalte sind an keinen speziellen<br />

Maßstab gebunden. Der kommt erst über das spezifische Pro-<br />

recognising this coherent logic on the other hand with a certain<br />

“poetic” quality, which is also an aesthetic quality.<br />

Atmosphere, form, sound, smell, light, symbols, narratives,<br />

historic references, etc. are combined into one. This aesthetic<br />

quality can be perceived by experts and by laypersons alike,<br />

even though it is not necessarily spectacular. What is more,<br />

this works in a modest everyday, sublimated way, as Walter<br />

Benjamin notes: architecture is perceived “less through rapt<br />

attention than by noticing the object in an incidental fashion”.<br />

In addition these essentials of architecture help to explore a<br />

wider field of professions for trained architects. Those professions,<br />

which are engaged in societal challenges with complex<br />

‘real world problems’, are in desperate need of creative people,<br />

who are systematically trained in creative design techniques.<br />

These days one can notice this all over the world.<br />

2 About a hundred years ago, architecture was conceptualised<br />

as the “art of articulating space”. Articulation refers in<br />

part to the semantic capacity of architecture, which came into<br />

focus through semiotics and was accorded particular attention<br />

during the period of “post-modern” approaches in architectural<br />

practise. But articulation means more than expression.<br />

It refers to the myriad spatial tools accumulated over<br />

history, to organise spatial relations in society under the influence<br />

of specific environmental challenges. Architecture has a<br />

repertoire of resources and tools for coping with complex spatial<br />

problems – integrating subjective experience – such as:<br />

integration, connection, arrangement, separation, ignorance,<br />

limitation, difference, interrelation, interaction, affection, protection,<br />

overlapping, clustering, contact, communication, etc.<br />

Since most of those problems don’t come alone, they represent<br />

a small portion of the challenges to consider in a given project<br />

and because most of them are ill-defined problems, it is essential<br />

to have a repertoire of respective spatial tools at hand as<br />

a means of competence in a structuralist sense. Here are just<br />

a few of them on a (still) categorical level:<br />

▪ Material and materiality: The characteristic of material<br />

effects on space.<br />

▪ Spatial density: Porosity, volume relations, openness versus<br />

tense connection as structural qualities.<br />

▪ Ambivalence of surface: hard or soft, space-containing,<br />

permeable, accessible, graduated, transparent, thin or<br />

thick, touchable.<br />

▪ Space volume complementarity: figure ground relation,<br />

interconnected relation of void and volume.<br />

▪ Space volume continuity: continuous space, same space<br />

perceived as belonging to the inner or the outer space,<br />

body and void as states of the same extended space.<br />

None of these spatial tools are related to only one specific<br />

scale. Scale comes into play via the project or the specific<br />

challenges to cope with. Space is produced by human activity.<br />

Difference and interrelation, to repeat just one of the afore-<br />

jekt ins Spiel. Raum wird in konkreten Situationen über<br />

Bewegung und Gebrauch produziert. So bildet sich etwa die<br />

Rolle von erschließenden oder aber erschlossenen Räumen,<br />

wie sie z. B. Georg Frank beschreibt, erst im Zuge von konkreten<br />

gesellschaftlichen Aktivitäten heraus. Die respektiven<br />

räumlichen Strukturen können als eine endlose Kette von dienenden<br />

und bedienten Räumen interpretiert werden, wo jeder<br />

Raum zumindest eine doppelte Aufgabe in dieser Verkettung<br />

von Beziehungen hat.<br />

3 <strong>Architektur</strong> ist mannigfaltig und in vielen Kategorien mit<br />

Gesellschaft und sozialen Situationen verbunden.<br />

Erstens ist sie Ausdruck von gesellschaftlichen Vorlieben,<br />

Ansprüchen und Herausforderungen. Der Architekt ist in Prozesse<br />

eingebunden, auch bei kleinsten Projekten, selbst wenn<br />

er traditionell die Leitung übernimmt. Projekte sind immer<br />

Produkte gesellschaftlicher Kräfte, die sie als Aufgabe erst<br />

konstituieren. In diesem Sinne ist <strong>Architektur</strong> Ausdruck von<br />

Politik, Ökonomie, Kultur. Neue gesellschaftliche Herausforderungen<br />

wie z.B. politische Neuorientierungen oder etwa die<br />

Verpflichtung auf Nachhaltigkeit, ob global oder lokal eingebunden,<br />

befördern neue architektonische Lösungen und Antworten.<br />

Oftmals realisiert das die Profession erst im Nachhinein.<br />

Manchmal führt es zu leidenschaftlichen Debatten.<br />

<strong>Architektur</strong> wird immer auch politisch begriffen und debattiert.<br />

Zweitens hat <strong>Architektur</strong> kulturelle und technologische<br />

Aspekte zu integrieren, ästhetischem Ausdruck und Gebrauch<br />

zu verbinden, und nur indem sie auch die spezifische Kultur<br />

und Atmosphäre eines Ortes einbezieht, erzeugt sie kulturellen<br />

Mehrwert. Der poetische bzw. ästhetische Charakter einer<br />

architektonischen Lösung ist so etwas wie die sichtbare Oberfläche<br />

oder der Ausdruck der Lösung eines komplexen räumlichen<br />

Problems (siehe 1), die so dem Nutzer, dem Betrachter<br />

und anderen gesellschaftlichen Akteuren vermittelt wird.<br />

Dadurch geht <strong>Architektur</strong> vielfältige Beziehungen ein mit<br />

Mode, Lebensstil, urbanen Ethiken, auch mit der Konstruktion<br />

von Geschichte und Mythen.<br />

Drittens unterscheidet sich <strong>Architektur</strong> durch ihre performativen<br />

Qualitäten von allen anderen angewandten Künsten.<br />

<strong>Architektur</strong> wird durch Gebrauch gesellschaftlich relevant.<br />

Ein Rezipient erfährt <strong>Architektur</strong> mit allen Sinnen innerhalb<br />

einer komplexen Situation. <strong>Architektur</strong> fungiert als Bühne im<br />

privaten und öffentlichen Leben - ganz im Sinne der performativen<br />

Künste. Nach Dagobert Frey sind wir in der <strong>Architektur</strong><br />

Mitspieler, nicht Zuschauer. <strong>Architektur</strong> hat ‚performative<br />

qualities’ (im Sinne der Sprechakt-Theorie von Austin<br />

und Searle): Eine räumliche Beziehung wird erst dadurch<br />

erzeugt, indem sie in einer architektonischen Situation erlebt<br />

und erfahren wird. Raum wird produziert, indem <strong>Architektur</strong><br />

in Gebrauch ist. Dies alles sollte sich nicht aufdrängen sondern,<br />

erinnern wir uns an Benjamin, eher beiläufig bemerkt<br />

werden.<br />

8 9<br />

mentioned aspects, are reproduced by the flow of relational<br />

spaces as well as by the separation and connection of discrete<br />

spaces which can be easily located. This can be interpreted<br />

as an endless chain of serving spaces and spaces being served<br />

by others (Georg Frank). Each space has at least a double<br />

role in this never completely fixed system of relations.<br />

3 Architecture is connected to society and social situations<br />

in manifold ways.<br />

Firstly by expressing societal preferences, challenges and<br />

needs physically. The architect is always part of a group in<br />

the process of production, even if in smaller projects. Traditionally<br />

she takes the leading role. But in terms of time, before<br />

the project comes into existence there are needs and forces<br />

within society that encourage certain solutions, projects and<br />

demands. As such architecture cannot come to existence without<br />

being connected to politics, economy, culture. New challenges<br />

in society, whether global or local, provoke new design<br />

solutions in architecture. Often the profession realizes this<br />

only retrospectively. Sometimes it leads to passionate contemporary<br />

debates. General objectives like sustainability provoke<br />

answers. In consequence architecture is discussed again and<br />

again in terms of its political implications.<br />

Secondly, architecture integrates cultural and technological<br />

techniques: it combines the spatial articulation of aesthetic<br />

expression and functional needs. It includes specific local culture<br />

and atmosphere, creating cultural added value. The poetic<br />

and aesthetic character of an architectural solution has<br />

already been emphasised (see 1). But again: this is the “surface”<br />

of organising a spatial problem, which connects it to<br />

the user, the recipient and society in all the different cultural<br />

spheres. In this respect architecture is connected to fashion,<br />

lifestyle, urban ethics and even construction of history and<br />

myths.<br />

Thirdly, what distinguishes architecture from most other<br />

applied arts is its performative quality. Architecture is connected<br />

to society while being in actual use. The “recipient”<br />

experiences architecture in the situation of being involved<br />

with all her senses. She is part of the situation while experiencing<br />

architecture. Architecture is a stage in private life and<br />

in public life in the sense of performative arts. Architecture<br />

has performative qualities in the sense of the theory of Austin<br />

and Searle (speech act theory): while experiencing architecture<br />

the reality of space is created within the situation. Lived<br />

space is induced by architecture, space is produced while<br />

experiencing architecture. But this experience is not an intrusive<br />

one – as Benjamin reminds us: noticing in passing.<br />

Sophie Wolfrum, Dean<br />

July 2012

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