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Beiträge der Bezugswissenschaften zur Erwachsenenbildung

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(Spätestens an dieser Stelle werden, wenn man sich an die Konzeption<br />

des narrativen Interviews erinnert, erhebliche Differenzen zwischen den<br />

verschiedenen interpretativen Forschungsansätzen sichtbar. Dazu gleich<br />

mehr.)<br />

– Mit einem dritten Typus von Daten hat <strong>der</strong> empirische Sozialforscher schließlich<br />

dann zu tun, wenn er die Methode <strong>der</strong> teilnehmenden Beobachtung<br />

anwendet. Hier sind es nicht seine Gesprächspartner, die ihm auf Befragen<br />

Aussagen über soziale Sachverhalte liefern, hier ist es er selbst, <strong>der</strong><br />

wahrgenommene soziale Vorgänge in Sprache faßt und in Feldnotizen, Beobachtungs-<br />

und Gesprächsprotokollen festhält. Im Gegensatz zum Interview<br />

eröffnet diese Methode dem Sozialforscher die Möglichkeit, ein soziales<br />

Geschehen in seinem tatsächlichen Ablauf zu verfolgen, und nicht selten<br />

werden sich in seinen Beobachtungsprotokollen genaue Beschreibungen<br />

und wortwörtliche, transkriptartige Mitschriften von Interaktionsvorgängen<br />

finden. Diese registrierende Form <strong>der</strong> Protokollierung stößt freilich rasch<br />

an ihre Grenzen: Wir haben nur eine sehr beschränkte Erinnerungs- und<br />

Wie<strong>der</strong>gabefähigkeit für die amorphe Ereignismasse eines aktuellen sozialen<br />

Geschehens. Dem teilnehmenden Beobachter bleibt also gar keine<br />

an<strong>der</strong>e Wahl als die, die sozialen Vorgänge, <strong>der</strong>en Zeuge er war, zumeist<br />

in typisieren<strong>der</strong>, resümieren<strong>der</strong>, rekonstruieren<strong>der</strong> Form zu notieren.<br />

Man muß sich damit abfinden, daß die Daten, mit denen die herkömmliche<br />

Sozialforschung operiert, bis auf ganz wenige Ausnahmen die sozialen Sachverhalte,<br />

die sie abbilden, in rekonstruieren<strong>der</strong> Form konservieren. D.h., die<br />

Daten sind das Endresultat eines – in seinen Wirkmechanismen noch weitgehend<br />

unerforschten – Transformationsprozesses, mit dem ein in sich sinnhaft<br />

strukturiertes, in sich organisiertes soziales Geschehen substituiert wird durch<br />

eine typisierende, narrativierende, ihrerseits deutende Darstellung ex post.<br />

Der entscheidende Punkt dabei ist, daß die deutend-rekonstruierende Verwandlung<br />

des Geschehens bereits in die Daten selbst eingewan<strong>der</strong>t ist und<br />

<strong>der</strong> Forscher nicht die geringste Chance hat, diesen Prozeß umzukehren: Das<br />

Geschehen selbst ist entschwunden, als Datum ist ihm nur dessen Rekonstruktion<br />

verfügbar.<br />

In <strong>der</strong> Literaturwissenschaft wäre es völlig undenkbar, anstelle <strong>der</strong> literarischen<br />

Werke selbst die im nachhinein zu diesen Werken produzierten Zusammenfassungen,<br />

Interpretationen und Meinungen zum hauptsächlichen Untersuchungsgegenstand<br />

zu machen. Der Soziologie war bislang <strong>der</strong> aposteriorischrekonstruierende<br />

Charakter ihrer Daten eine problemlose Selbstverständlichkeit.<br />

Ich vermute, daß dieser Sachverhalt für die Soziologie deshalb nicht zum<br />

Problem wurde, weil die Abbildungsperspektive dieser soziologischen Daten<br />

genau <strong>der</strong> Perspektive entspricht, von <strong>der</strong> aus wir uns im alltäglichen Handeln<br />

auf soziale Vorgänge beziehen. Eine Bestätigung dieser Vermutung findet<br />

sich überraschen<strong>der</strong>weise dort, wo man gerade eine Alternative zum Typus<br />

<strong>der</strong> rekonstruierenden Daten erwarten würde – in <strong>der</strong> Verwendung von<br />

audiovisuellen Aufzeichnungstechniken in <strong>der</strong> interpretativen Sozialforschung.<br />

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