Beiträge der Bezugswissenschaften zur Erwachsenenbildung
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Das bedeutet durchaus nicht die Einleitung eines kausalen Regresses. Es<br />
ist eine ganz praktische Frage. Wann und vor allem wodurch z.B. ist – um<br />
das Oevermannsche Forschungsfeld zu assoziieren – ein Konfliktmuster<br />
zwischen Ehepartnern entstanden, das sich – einmal in Kraft – künftig auch<br />
gegen die Intention <strong>der</strong> Betroffenen durchsetzen wird? Stellt man nämlich<br />
das vermeintlich abstrakte hermeneutische Problem in den Kontext konkreter<br />
Forschungsinteressen, wird sogleich plausibel, daß die Konstitutionsfrage<br />
kein Scheinproblem ist: Ein biographietheoretisch ambitionierter<br />
Familientherapeut könnte beispielsweise aus dem „Gründungskontext“ jenes<br />
Konfliktmusters – wenn er sich eruieren ließe – die Prognose einer möglichen<br />
Revision und eine passende Therapie ableiten. Ein sozialgeschichlich<br />
orientierter Sozialwissenschaftler würde womöglich das Konfliktmuster auf<br />
spezifische Nachkriegskonstellationen <strong>zur</strong>ückführen und es als Typus einer<br />
kohortenspezifischen „Lebenskonstruktion“ (Bude) interpretieren. Ein<br />
an klassenspezifischen Milieus und Lebenswelten interessierter Soziologe<br />
könnte vielleicht sozialstrukturell eindeutige materielle Beeinträchtigungen<br />
identifizieren, die zwangsläufig jenes Konfliktmuster verursacht haben. Eine<br />
feministische Wissenschaftlerin würde vielleicht die kapitalistische Ausprägung<br />
des „Patriarchats“ dafür verantwortlich machen.<br />
Der Familientherapeut wird dabei vermutlich schon deshalb keine hohe Affinität<br />
<strong>zur</strong> „objektiven Hermeneutik“ haben, weil <strong>der</strong>en Einsichten seine professionellen<br />
Handlungsmöglichkeiten erheblich einschränken 10 . Der Sozialhistoriker<br />
könnte – heuristisch – damit arbeiten, würde freilich – wenn<br />
er sich für überzeugende Typisierungen interessierte – den ahistorischstrukturellen<br />
Charakter jenes Konfliktmusters relativieren müssen. Der klassentheoretisch<br />
orientierte Soziologe käme in das Dilemma, Klassenkonstitution<br />
und Bewußtseinskonstitution trennen zu müssen. Und die Feministin<br />
könnte allenfalls gewisse agitatorische Vorteile aus dem Invarianz-<br />
Postulat ziehen. Alles in allem käme die „objektive Hermeneutik“ schlecht<br />
davon. Und das läge nicht einmal an ihrer theoretischen Inkonsistenz,<br />
son<strong>der</strong>n an forschungspraktischen Fragen.<br />
Es ist das Verdienst von Jürgen Habermas, die Differenzierung hermeneutischer<br />
Kunstfertigkeit und hermeneutischer Theorie noch einmal bewußt gemacht<br />
zu haben (cf 1971:120 f). „Hermeneutik (ist) als Kunstlehre entstanden,<br />
die ein natürliches Vermögen methodisch in Zucht“ nimmt und kultiviert<br />
(ebd.: 120). Auf dieses „natürliche Vermögen“ beziehen sich <strong>der</strong> Therapeut,<br />
<strong>der</strong> Sozialhistoriker, <strong>der</strong> Soziologe und die Feministin zunächst, wenn sie ihr<br />
Forschungsmaterial betrachten. Und die methodische Zucht, unter <strong>der</strong> sie ihre<br />
Auslegung betreiben, ist den Geltungsansprüchen des Materials und ihrem<br />
eigenen Interesse verpflichtet – noch keiner Theorie.<br />
In diesem Status befindet sich gegenwärtig die Biographieforschung. Sie besteht<br />
aus einer Reihe hochinteressanter „Kunstlehren“ im Spannungsfeld zwischen<br />
dem narrationsstrukturellen Ansatz Fritz Schützes und Oevermanns „objektiver<br />
Hermeneutik“. Vorläufig wäre es verfrüht, die Leistungen des einen o<strong>der</strong>