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Beiträge der Bezugswissenschaften zur Erwachsenenbildung

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mann et al. 1979:381).<br />

Hier kommt freilich eine ganz an<strong>der</strong>e Form <strong>der</strong> „hermeneutischen Idealisierung“<br />

in den Blick als die oben diskutierte. Die Unterstellung, daß <strong>der</strong> „objektive<br />

Hermeneut“ latente Sinnstrukturen sozialer Wirklichkeit aufdecken könne,<br />

die dem gewöhnlichen sozialen Akteur verborgen bleiben, setzt voraus, daß<br />

er sich in <strong>der</strong> Interpretationssituation von den aktuellen Geltungsansprüchen<br />

des infragestehenden Textes dispensieren kann. Das erscheint – wie Habermas<br />

(1981, I:167 ff) sehr plausibel gezeigt hat – äußerst fragwürdig. Da die<br />

objektive Bedeutungsstruktur eine „Realität sui generis“ sein soll und aus den<br />

subjektiven Intentionen erst „herausgeschält“ werden muß, ist grundsätzlich<br />

auch für den „objektiven Hermeneuten“ eine „performative“ – also einfühlendteilnehmende<br />

– Einstellung zum Text Voraussetzung. Ein wenig banaler gesagt:<br />

Auch <strong>der</strong> „objektive Hermeneut“ muß wissen, was die Leute wollen, wenn<br />

er herausbekommen will, was sie „wirklich“ beabsichtigen. Dabei begibt er sich<br />

jedoch notgedrungen in die gleichen Aporien, in denen auch die Akteure seiner<br />

Texte stecken. Auch er verfügt dann konsequent zunächst nur über subjektive<br />

Lesarten <strong>der</strong> objektiven Bedeutungsstruktur. Ein „Ausweg“ aus diesem<br />

Dilemma ist schließlich die heuristische Unterstellung einer methodologisch<br />

gesicherten Immunität. Oevermann und Mitarbeiter formulieren: „Wir interpretieren<br />

… die Interaktionstexte (einer) Person und unterstellen dabei, daß sie<br />

eine von den ursprünglichen Intentionen des ‚Sprechers‘ unabhängige, abgelöste<br />

Bedeutung tragen, in <strong>der</strong> das Subjekt sich verrät‘“ (1979:383; Hervorhebung<br />

P.A.).<br />

Diese Interpretationsdisposition ist allerdings für biographische Erzählungen<br />

folgenreich. Die methodologische „Falle“, in die <strong>der</strong> Erzähler zwangsläufig<br />

tappen muß, ist schwerwiegend: was immer er erzählt, wie immer er die Einzigartigkeit<br />

seines Lebens darstellen wird, er muß sich „verraten“. Der von ihm<br />

produzierte Text ist nur Verweis auf eine tiefer liegende objektive Sinnstruktur.<br />

Die freilich wäre auch in an<strong>der</strong>en Interaktionstexten auffindbar. Biographische<br />

Erzählungen haben hier keinen Son<strong>der</strong>status. Trotz dieser Kritik bleibt<br />

an <strong>der</strong> strukturalistischen Variante <strong>der</strong> Interpretation von biographischen Erzählungen<br />

ein Aspekt bedenkenswert: die schlichte Beobachtung, daß die<br />

„Lebensgeschichten“ als solche mit <strong>der</strong> Realität des „Lebens“ nicht umstandslos<br />

identifiziert werden können. Die bei Schütze problematisierte „Homologie-These“<br />

wird hier ein weiteres Mal infrage gestellt.<br />

Es ist eine triviale Erfahrung, die je<strong>der</strong>mann in seinem Alltag macht, daß die<br />

„Lebensideologien“, die wir uns konstruieren, nicht dasselbe sind wie die realen<br />

„Lebenskonstruktionen“, die uns selbst nur hier und da hinter den wirklichen<br />

Abläufen unserer Biographie bewußt werden. Gemeint sind damit jene nichtintentional<br />

gesteuerten, aber doch irgendwie akzeptierten Grenzen unseres<br />

biographischen Aktivitätspotentials, die sich schließlich zu <strong>der</strong> Überzeugung<br />

verdichten, daß in unserem Leben auf bestimmte Weise alles mit allem zusammenhängt,<br />

daß das eine auf das an<strong>der</strong>e folgt usf. … 8<br />

Hinter dieser Überlegung verbirgt sich ein methodologischer Aspekt. Wirklichkeit

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