Beiträge der Bezugswissenschaften zur Erwachsenenbildung
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ist – implizit – auch für den biographischen Erzähler immer mehr als nur individuelle<br />
Wirklichkeit. Jede Biographie wird in einem „Erfahrungsmilieu“ angesiedelt,<br />
das bestimmte Strukturen aufweist, die nicht notwendig identisch<br />
sind mit den Intentionen, die Biographieträger offen o<strong>der</strong> heimlich für den<br />
Fortgang ihres Lebenslaufs hegen. Solche „Strukturen“ können klassenspezifische<br />
Profilierung haben o<strong>der</strong> die „typischen“ Erwartungsmuster einer Geschlechtsrolle<br />
9 . Sie können aber auch durch die herausragenden Ereignisse<br />
<strong>der</strong> Zeitgeschichte geprägt sein. Die umgangssprachliche Rede von <strong>der</strong> „Kriegs“o<strong>der</strong><br />
„Nachkriegsgeneration“ ist hier ein Indiz. Albrecht Lehmann hat in diesem<br />
Zusammenhang von „Leitlinien des lebensgeschichtlichen Erzählens“<br />
gesprochen (cf. 1983: 17 ff); und er bezieht sich dabei auf erfahrungstypische<br />
Gestaltungsmittel für die biographische „Großerzählung“ – etwa die „Lohn-<br />
Konsum-Leitlinie“ bei Arbeitern. Entscheidend ist allerdings, daß solche „Strukturen“<br />
nicht invariant sind, son<strong>der</strong>n sich mit den gesellschaftlichen Bedingungen<br />
verän<strong>der</strong>n.<br />
5. Methodologische Grenzen <strong>der</strong> relevantesten Interpretationsverfahren<br />
Versuchen wir, die bisherigen methodologischen Überlegungen noch einmal<br />
zusammenzufassen, so wird deutlich, daß sich die Interpretation von „Lebensgeschichten“,<br />
wo sie sich überhaupt auf ihren methodologischen Son<strong>der</strong>status<br />
besinnt, vorläufig zwischen zwei gegensätzlichen Polen bewegt: <strong>der</strong> Gefahr<br />
<strong>der</strong> Identifikation von ‚life course‘ und ‚life record‘ zugunsten <strong>der</strong> erzählten<br />
Lebensgeschichte und <strong>der</strong> Diskreditierung biographischer Erzählung <strong>zur</strong><br />
bloß subjektiven Lesart einer invarianten Sinnstruktur.<br />
Schütze teilt mit <strong>der</strong> phänomenologischen Tradition das Interesse an <strong>der</strong> Binnenperspektive<br />
des Erzählers und an den ihr vorhergehenden Entfaltungsregeln.<br />
Es gelingt ihm dabei auf überzeugende Weise, bestimmte Konstruktionsprinzipien<br />
autobiographischen Stegreiferzählens offenzulegen, denen sich<br />
Erzähler unseres Kulturkreises jedenfalls nicht beliebig entziehen können. Die<br />
Konzentration auf diese formalen Konstruktionsprinzipien könnte freilich den<br />
Blick auf zentrale Konstitutionsbedingungen verstellen, die bei Schütze als<br />
„heteronome Systembedingungen“ ausgeblendet werden.<br />
Oevermann interessiert – mit Rückgriff auf strukturalistische Theorietraditionen<br />
– gerade die Konstitutionsebene latenter Sinn- und objektiver Bedeutungsstrukturen,<br />
als <strong>der</strong>en bloße „Lesarten“ subjektive Bedeutungen und Intentionen<br />
erscheinen. Bei diesem Ansatz besteht offensichtlich nicht nur die Gefahr,<br />
den selbständigen Status biographischer Konstruktionsprinzipien zu ignorieren.<br />
Auch für ihn bleibt die in Schützes Ansatz monierte Konstitutionsfrage<br />
durchaus ungelöst. Selbst wenn die Beziehung zwischen objektiven Bedeutungsstrukturen<br />
und subjektiven Intentionen als gegeben hingenommen<br />
würde, bliebe die Frage bestehen, wie jene objektiven Sinnstrukturen denn<br />
ihrerseits generiert werden.<br />
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