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Beiträge der Bezugswissenschaften zur Erwachsenenbildung

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ekt das Konzept, die kognitive Organisation selbsterlebter Erfahrungen in autobiographischen<br />

Stegreiferzählungen als „interaktions- und entwicklungslogische<br />

Prinzipien“ <strong>der</strong> Welt- und Selbstthematisierung zu begründen (cf 1984:115,<br />

Anm.1b). Das wäre zweifellos ein Programm von beträchtlicher Reichweite.<br />

Schütze selbst ist offenbar zuversichtlich, wenn er nicht nur konstatiert, „daß<br />

allem Stegreiferzählen eine autobiographische Komponente“ innewohne, son<strong>der</strong>n<br />

die „elementaren Ordnungsprinzipien <strong>der</strong> autobiographischen Erfahrungsrekapitulation“<br />

auch dem aktuellen Erleben zuschreibt (1984:82 f).<br />

Daß jede Erzählhandlung eine „biographische Tiefendimension“ besitzt, ist an<br />

und für sich noch keine schwerwiegende Hypothese. Erzählen ist eine Son<strong>der</strong>form<br />

konstativer Rede (cf Habermas 1981, II:206) und dient gewöhnlich<br />

nicht nur <strong>der</strong> Verständigung zwischen Interaktionspartnern, son<strong>der</strong>n auch <strong>der</strong><br />

Selbstpräsentation und damit wenigstens <strong>der</strong> impliziten „Selbstverständigung“<br />

des Erzählers (s.o.). Was jemand auswählt aus <strong>der</strong> denkbaren Fülle des Erzählbaren,<br />

das hat nicht nur mit <strong>der</strong> Interaktionssituation und den sich durchsetzenden<br />

Relevanzstrukturen zu tun, son<strong>der</strong>n auch mit dem Erzähler selbst<br />

und mit <strong>der</strong> Eigenart <strong>der</strong> autobiographischen Erfahrungen, die er gemacht hat.<br />

Auch die Konstatierung lebensgeschichtlicher Tiefendimensionen im Alltagsleben<br />

ist keine „revolutionäre“ Behauptung. Schütz/Luckmann haben plausibel<br />

jede „gegenwärtige Situation“ als „biographisch artikuliert“ bezeichnet<br />

(1979:146). Denn sie sei als „Resultat“ von vorhergehenden Situationen zu<br />

begreifen; und das soziale Wissen, das für ihre Bewältigung <strong>zur</strong> Verfügung<br />

stehe, sei „einzigartig“ unter dem Aspekt seiner spezifisch biographischen<br />

Sedimentierung.<br />

Weitreichen<strong>der</strong> jedoch ist Schützes These, „daß Stegreiferzählungen selbsterlebter<br />

Erfahrungen sich einer <strong>zur</strong>eichenden sozialwissenschaftlichen Analyse<br />

entziehen, wenn ihrer autobiographischen Komponente nicht systematisch<br />

Rechnung getragen wird“ (1984:82). Das bedeutet konsequent, daß in<br />

je<strong>der</strong> aktuellen Erzählhandlung „Ordnungsstrukturen“ in Kraft treten müssen,<br />

die nicht durch den Anlaß <strong>der</strong> Erzählung selbst, son<strong>der</strong>n durch die autobiographische<br />

Erfahrungsaufschichtung repräsentiert sind: Wirklichkeit – heißt<br />

das – ist für jeden Alltagserzähler zuallererst biographisch „konstruiert“.<br />

Diese „biographische Konstruktion <strong>der</strong> Wirklichkeit“ überspringt gewissermaßen<br />

das hermeneutische Problem, die Beziehung zwischen ‚life course‘ und ‚life<br />

record‘ aufzuklären. Schütze unterstellt eine schlichte „Homologie“ zwischen<br />

„lebensgeschichtlichem Erfahrungsstrom“ und „aktuellem Erzählstrom“ (1984:78)<br />

und entgeht so <strong>der</strong> Frage nach den strukturellen Konstitutionsbedingungen<br />

biographischer Rekapitulation.<br />

Am Beispiel <strong>der</strong> kognitiven Figur ‚Situationen, Lebensmilieus, soziale Welten‘<br />

(s.o.) konzediert er immerhin, daß es „Bedingungsgefüge für soziale Prozesse“<br />

gebe, die <strong>der</strong> biographische Erzähler „nicht intentional adressieren“ könne,<br />

die gleichsam „als heteronome Systembedingungen lebensgeschichtlichen<br />

Handelns und Erleidens“ unthematisiert bleiben (1984:99).<br />

Die Konzentration auf das „intentional Adressierbare“ in biographischen Er-<br />

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