Beiträge der Bezugswissenschaften zur Erwachsenenbildung
Beiträge der Bezugswissenschaften zur Erwachsenenbildung
Beiträge der Bezugswissenschaften zur Erwachsenenbildung
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
92<br />
keit verän<strong>der</strong>t, und zwar gleicherweise auf drei Ebenen, nämlich pädagogisch,<br />
politisch und – wenn ein religiöses Wertbestimmtsein zugelassen bzw. anerkannt<br />
wird – auch theologisch/ethisch/anthropologisch.<br />
1. Wirkung: Der Biograph schafft sich seinen Zugang <strong>zur</strong> eigenen Lebensgeschichte.<br />
Er kann sich freisprechen, freischreiben, sich seiner<br />
selbst bewußt werden. Er macht sich seine Sozialisation<br />
verfügbar. Ihm wird seine Biographie zum Instrument <strong>der</strong> Bildung.<br />
Am Beispiel einer Arbeitshypothese eigener Forschungen: „Es besteht ein<br />
Zusammenhang zwischen autobiographischen Aussagen und reflexiver Verarbeitung<br />
<strong>der</strong> Situation/Krise“ (1985, 53 ff.).<br />
Im Spiegel eines Biographen: „Ich habe mir einmal alles von <strong>der</strong> Seele geschrieben;<br />
Druck abgelassen, ich wäre fast am Überdruck geplatzt. Jetzt bin<br />
ichs los, jetzt kann ich wie<strong>der</strong> neu anfangen.“<br />
2. Wirkung: Biographien verschaffen an<strong>der</strong>en Zugänge zu fremden, noch<br />
unbekannten Lebenswelten, z.B. von Menschen in Krisen, in Arbeitslosigkeit,<br />
angesichts von Krankheit u.a.<br />
Biographen können als Zugehörige einer sozialen Gruppe – als sog. darin beheimatete<br />
Einheimische – an<strong>der</strong>e einführen in noch unerlebtes, bisher tabuisiertes<br />
fremdes Land. Sie machen an<strong>der</strong>en ihre sog. normabweichende Sozialisation<br />
verfügbar und hinterfragen damit zugleich <strong>der</strong>en eigene Norm.<br />
Am Beispiel einer Arbeitshypothese eigener Forschung: „Es besteht ein Zusammenhang<br />
zwischen ansteigen<strong>der</strong> struktureller ‚Versorgung‘ in totalen Institutionen<br />
und abnehmen<strong>der</strong> mitmenschlicher ‚Sorge‘.“<br />
Im Spiegel eines Biographen: „Das ist viel grausamer, als ich es jemals gedacht<br />
habe: ‚krebskrank!‘ – das schaffst Du schon, hab ich so bei mir gedacht;<br />
aber daß die dann so mit Dir umgehen, daß die mich so behandelt haben:<br />
angstvoll, ablehnend, angewi<strong>der</strong>t, abgeschoben als ob ich Aussatz hätte; und<br />
nirgendwo ein Angebot, eine persönliche Ansprache o<strong>der</strong> gar eine Aussprache,<br />
nirgendwo auch nur eine Spur von Annahme ...“.<br />
3. Wirkung: Das veröffentlichte biographische Material – auch ‚oral-history‘<br />
– verän<strong>der</strong>t/relativiert Geschichtsschreibung, z.B. die Darstellung<br />
lebensunwerten Lebens im Dritten Reich.<br />
Die mündlichen Geschichten von Menschen aus bisher tabuisierten Bereichen<br />
sind Träger eines bisher verleugneten und vergessenen Eigentums. Ihre tief<br />
am Boden des Bewußtseins abgelagerten, aber langjährigen aufgeschichteten<br />
Erfahrungen gilt es, durch Anstöße zum ‚Sich-Erinnern‘ an die Lebensgeschichte<br />
während des Dialogs im Forschungsprozeß behutsam abzutragen,<br />
sie anzusprechen (auf Band zu sprechen), aufzuschreiben und letztlich öffentlich<br />
werden zu lassen; das ist ein Beitrag dazu, Geschichtsschreibung zu<br />
verän<strong>der</strong>n, sie zu relativieren.<br />
Am Beispiel einer Arbeitshypothese eigener Forschung: „Es besteht ein Zu-