06.01.2013 Aufrufe

Beiträge der Bezugswissenschaften zur Erwachsenenbildung

Beiträge der Bezugswissenschaften zur Erwachsenenbildung

Beiträge der Bezugswissenschaften zur Erwachsenenbildung

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Erika Schuchardt<br />

Innovative Forschung – Beispiel Biographischer<br />

Ansatz<br />

1. Autobiographische Signale – Modetrend o<strong>der</strong> Krisensymptom<br />

„Je<strong>der</strong>mann erfindet sich früher o<strong>der</strong> später eine Geschichte, die er dann für<br />

sein Leben hält.“ Dieser Schlüsselsatz Max Frischs hat das Gewicht einer<br />

wissenschaftlichen Hypothese. Auch wenn wir aus <strong>der</strong> Arbeit mit Autobiographien<br />

wissen, daß das Erfinden möglicher Geschichten nicht beliebig, son<strong>der</strong>n<br />

immer schon vorgeprägt ist, steht sicherlich fest: Ohne „seine Geschichte“<br />

zu (er)finden, kann ein Mensch seine Identität nicht finden, aus seinen aufgeschichteten<br />

Erfahrungen <strong>der</strong> Vergangenheit nicht seine unverwechselbare<br />

Geschichte entdecken, nicht seine Deutung <strong>der</strong> Erfahrungen (er)finden; also<br />

ohne Vergangenheit keine Gegenwart, ohne Deutung kein Sinn, ohne Sinn<br />

kein verantwortlich erfülltes Leben.<br />

Kann es sein, daß das anwachsende öffentliche und interdisziplinäre Interesse<br />

am Autobiographischen mehr ist als ein Zufall o<strong>der</strong> nur ein abzuwehren<strong>der</strong><br />

Modetrend, dem man sich auch entziehen kann? Kann es sein, daß<br />

es vielmehr ein Krisensymptom angesichts eines verbreiteten Sinnverlusts ist<br />

und damit Aufbruch <strong>zur</strong> Sinnsuche signalisiert?<br />

Natürlich hat es Beschäftigung mit Biographischem immer schon gegeben (vgl.<br />

Hoerning 1980, Paul 1979), aber gegenwärtig hat Autobiographisches offensichtlich<br />

höchsten Kurswert in <strong>der</strong> Belletristik z.B. ebenso wie in <strong>der</strong> Sozialwissenschaft.<br />

Aufschluß über den Stellenwert des Autobiographischen in <strong>der</strong> Belletristik gibt<br />

die sehr gründlich erarbeitete Studie von Sylvia Schwab über „Autobiographik<br />

und Lebenserfahrung“ (1981). Unter Bezug auf Theodor W. Adornos klassisches<br />

Zitat <strong>zur</strong> Krise des mo<strong>der</strong>nen Romans: „Zerfallen ist die Identität <strong>der</strong><br />

Erfahrung, das in sich kontinuierlich und artikulierte Leben, das die Haltung<br />

des Erzählers einzig gestattet“ (1958, 62) und Georg Lukàcs prägenden Begriff<br />

<strong>der</strong> „transzendentalen Obdachlosigkeit“ des mo<strong>der</strong>nen Erzählers identifiziert<br />

sie eine Krise des deutschen Romans, eine Krise des Erzählens. Sie<br />

weist nach, daß diese durch die Nachkriegsliteratur zwar zunächst überspielt<br />

wurde, aber gegen Ende <strong>der</strong> 60er Jahre angesichts zunehmen<strong>der</strong> Ideologisierung<br />

<strong>der</strong> Literatur erneut aufbricht und einmündet in den Biographie-Boom<br />

<strong>der</strong> 70er Jahre. Das belegt sie u.a. am Seismograph Tageszeitung mit Schlagzeilen<br />

<strong>zur</strong> Frankfurter Buchmesse: Hieß es noch 1971 „Droht das Ende <strong>der</strong><br />

Literatur?“, folgt 1974 <strong>der</strong> Auftakt für den „Herbst des autobiographischen<br />

Romans“ und 1975 „Die Literatur nach dem Tod <strong>der</strong> Literatur“, bis dann unter<br />

dem Stichwort „neue Sensibilität“ <strong>der</strong> Lyrik-Boom und neue Tendenzen <strong>zur</strong><br />

85

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!