Deutsch im Gespräch - Daf Daz Tagung
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gemeinschaft an diese beiden Voraussetzungen knüpft» (2001, 205 ff.). Lévinas<br />
seinerseits entwickle eine Ethik der Kommunikation, nach welcher die<br />
Kommunikation dazu nötige, «die Alterität des Anderen anzuerkennen und die<br />
Selbstverständlichkeit eines Ausgangs von sich aus in Frage zu stellen» (2001,<br />
217). Wenn wir <strong>im</strong> Klappentext eines Rhetoriklehrbuchs lesen: «Wer die Sprache<br />
hat, hat die Macht: 101 wirksame Werkzeuge der Sprache werden in diesem<br />
Standardwerk der Rhetorik vorgestellt und in 1001 Beispielen angewendet»<br />
(Schaller 2005), geht es allerdings um etwas anderes. Beide Philosophen<br />
unterscheiden «Überzeugung» und «Überredung» und stellen bei der letzteren<br />
«die rhetorischen Elemente der gesprochenen Sprache unter Verdacht» (2001,<br />
221).<br />
Interaktionsforscher haben nun auf der Suche nach den Formen, in denen<br />
sich Macht und Sprache begegnen, den Blick auf einen interessanten Typ von<br />
Sprachverwendung gelenkt: die Einschüchterungsgespräche. In dieser meines<br />
Wissens von Steinbach et al. (1977) erstmals analysierten Grundform des Dialogs<br />
findet sich eine herrschaftsorientierte, asymmetrisch-verzerrte Form der<br />
Kommunikation. Die typischen Redehandlungen sind die des Befehlens und<br />
Bestrafens. Es werden einseitig Geltung und Geltungssansprüche angemeldet<br />
und fraglos vorausgesetzt, ohne dass Begründungen oder Einspruchsmöglichkeiten<br />
offeriert würden. Unhinterfragt hingenommene Beziehungen<br />
zwischen den Akteuren best<strong>im</strong>men unausweichlich auch die Verständigung<br />
über Gegenstände. «Diese Form der Kommunikation», wird auf der ausgezeichneten<br />
Webpage von Thomas Gransow kommentiert, «hat ihren Grund<br />
häufig in gesellschaftlich bedingter Sprachohnmacht (fehlender Sprachkompetenz),<br />
in der sich Deformationen der gesellschaftlichen Verkehrsformen<br />
spiegeln. Daraus folgt dann auch, daß in diesen Situationen oftmals außersprachliche<br />
kommunikative Handlungen (wie körperliche Schläge etc.) den<br />
Geltungsanspruch äußern und zwanghaft ‚ausüben’ müssen.»<br />
(http://www.thomasgransow.de/Fachmethoden/<strong>Deutsch</strong>/Strukturelemente_7.<br />
html; zuletzt geprüft: 10.05.2007). Einschüchterungsgespräche haben zunächst<br />
mit Migration nichts zu tun, sondern wurden als Kategorie bei der Analyse<br />
deutscher Dramen erarbeitet. Wir erwarten sie z.B. in «spracharmen Familien»<br />
in der Interaktion zwischen den Eltern und den Kindern, wobei sie die<br />
Kinder und Jugendlichen in ihrem Verhältnis mit anderen reproduzieren.<br />
Migranten könnten davon in dreifacher Weise betroffen sein: (a) Jugendliche,<br />
die aus spracharmen Migrantenfamilien stammen, verfügen schon in der Erstsprache<br />
nicht über elaborierte sprachliche Mittel; (b) Jugendliche Migranten<br />
erleben ihre Kontakte mit Mitgliedern der Aufnahmegesellschaft in erster Linie<br />
als verzerrte, von Befehlen und Verboten geprägte Form der Kommunikation<br />
und reproduzieren diese; (c) wenn sie in der Aufnahmesprache über keine genügenden<br />
Kenntnisse verfügen, haben sie keine sprachlichen Alternativen.<br />
Wenn man davon ausgeht, dass das Schulsystem nicht nur eine wichtige<br />
Rolle bei der Erziehung zu mündigen, autonomen Bürgern spielt, sondern auch<br />
entscheidende Beiträge zum Abbau sozialer Ungleichheiten zu leisten hat, ist<br />
seine Aufgabe in unserem Zusammenhang komplex: (a) Insofern man weiss,<br />
dass eine fundierte Kenntnis der L1 die beste Voraussetzung für den umfassenden<br />
Erwerb einer L2 darstellt, trägt es auch Mitverantwortung dafür, dass<br />
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