Deutsch im Gespräch - Daf Daz Tagung
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die Eltern in der Weitergabe ihrer Herkunftssprache an die nächste Generation<br />
unterstützt und allenfalls beschränkte Sprachkompetenzen gewisser Migrantenkinder<br />
in ihrer Herkunftssprache schulisch erweitert werden. (b) Weil sich<br />
Mehrsprachigkeit, wie wir noch sehen werden, möglichst frühzeitig entwickeln<br />
sollte, ist eine möglichst frühzeitige Immersion der Kinder der Zuwanderer in<br />
die Aufnahmesprache mittels Krippen, Kleinkindergärten u.ä. durch speziell<br />
geschulte HortnerInnen (nicht Sprachlehrpersonen) sinnvoll. (c) Die wichtigste<br />
Aufgabe der Schule geht aber über die Vermittlung basischer Sprachkompetenzen<br />
hinaus und besteht in der Vermittlung einer diskursiven Autonomie,<br />
d.h. der Fähigkeit, die Sprache <strong>im</strong> oben angedeuteten Sinn von Habermas,<br />
Lévinas u. a. selbständig und gleichberechtigt mit den Interaktionspartnern zu<br />
verwenden. Wenn man nun die Interaktion <strong>im</strong> Klassenz<strong>im</strong>mer beobachtet,<br />
stellt man rasch fest, dass dieses Ziel häufig nicht <strong>im</strong> Vordergrund steht, und<br />
dies nicht nur bezüglich der Migranten, sondern der Schülerinnen und Schüler<br />
überhaupt. Aus der Arbeit namentlich von S<strong>im</strong>ona Pekarek Doehler (1999) ergibt<br />
sich die Existenz eines Kontinuums von Interaktionsformen <strong>im</strong> Klassenz<strong>im</strong>mer,<br />
die sich durch spezifische Handlungsabläufe, Themenstrukturierungen<br />
und Rollenverhältnisse unterscheiden und sich zwischen zwei Polen erstrecken.<br />
Der erste Pol verweist auf stark von der Lehrkraft kontrollierte und relativ monolytisch<br />
organisierte Interaktionsabläufe. Die Schüler/innen sind dabei mit<br />
rud<strong>im</strong>entären Aufgaben konfrontiert (z. B. einfache Antworten geben, Satz für<br />
Satz einen Text zusammenfassen), welche sie systematisch unterfordern. Die<br />
Lehrperson übt Sprachmacht aus, ist dominanter, als dies für das Coaching der<br />
Lernprozesse notwendig wäre; die Schülerinnen und Schüler sind — in einem<br />
etwas anderen als dem vorher genannten Sinn — «sprachohnmächtig». Den<br />
zweiten Pol hingegen bilden lokal organisierte, ko-konstruierte und diversifizierte<br />
<strong>Gespräch</strong>szusammenhänge. Aufgrund verschiedener Ergebnisse der<br />
Spracherwerbsforschung kann dieser zweite Pol, <strong>im</strong> Gegensatz zum ersten, als<br />
für den Erwerb von diskursiven Fähigkeiten förderlich betrachtet werden. In<br />
der Tat fordert er seitens der Schüler/innen nicht nur einen kreativen und<br />
kommunikativen Sprachgebrauch, sondern auch eine ständige Anpassungs-<br />
und Koordinationsarbeit, um unvorhersehbare Interaktionsstrukturen und<br />
Themenabläufe mittels einer vielseitigen Diskursaktivität zu bewältigen. Er bietet<br />
dabei den Schüler/innen die Gelegenheit, ihre Sprachkompetenz in komplexen<br />
und ihrem Sprachniveau angepassten <strong>Gespräch</strong>szusammenhängen anzuwenden<br />
und somit weiterzuentwickeln. Es darf vermutet werden, dass die<br />
Schule namentlich bei Schüler/innen mit sprachärmerem Hintergrund dieser<br />
Tatsache nicht <strong>im</strong>mer Rechnung trägt und ihre Sprachohnmacht <strong>im</strong> Gegenteil<br />
nochmals verstärkt. Dies hat Nachteile in sehr vielen Formen von sozialer Interaktion<br />
zur Folge, beispielsweise in der Rolle als Patient/Patientin gegenüber<br />
dem Arzt, in der Rolle als Bürger gegenüber der Administration, in der Rolle als<br />
Angeklagter oder Zeuge gegenüber Vertretern des Justizsystems usw.<br />
Wir haben schon klar gemacht, dass schlechte Sprachbeherrschung und die<br />
daraus resultierende Sprachohnmacht sowohl ein Problem einhe<strong>im</strong>ischer Jugendlichen<br />
aus sprachärmeren Familien als auch und besonders eines von<br />
Migrantinnen und Migranten ist, welche die Gastsprache (noch) nicht gut sprechen.<br />
Fremdsprachigkeit kann m.a.W. die soeben genannten Asymmetrien<br />
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