Radikale Realpolitik - Rosa Luxemburg Stiftung
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• Armut, Entwicklung, Entwurzelung, Ohnmacht und Ressourcenmangel können<br />
sich mit anderen Ursachen zu neuen Wellen von Gewalt und Kriegen verbinden,<br />
zur Ausbreitung von Terrorismus und Barbarei – wie schon gegenwärtig in Darfur<br />
zu beobachten ist. 6<br />
Dringlich bleibt also die Aufklärung über die vorausschaubaren Katastrophen für<br />
den Fall, dass in den nächsten beiden Jahrzehnten keine einschneidende Wende zu<br />
sozial-ökologischem Umbau geschieht. Selbst dann bliebe immer noch eine Differenz<br />
zu dem die Phantasie übersteigenden Unvorstellbaren.<br />
Politische Aufklärung allein wird für die Mobilisierung von Gegenmacht jedoch<br />
nicht ausreichen. Ein Phänomen steht dagegen, das Günter Anders Apokalypseblindheit<br />
nannte. Eigentlich kann jede und jeder wissen, wie groß die Gefahren<br />
der Zukunft sind. Aber die meisten können es nicht glauben. Die Ohnmacht der<br />
Einzelnen tendiert zur Verdrängung.<br />
Die Fähigkeit der Gesellschaften, ihre eigenen Existenzgrundlagen zu zerstören,<br />
ist größer als die Fähigkeit, Verantwortung für die Folgen menschlichen Handels<br />
zu übernehmen. Günter Anders nannte diese Differenz die »prometheische<br />
Lücke«. 7 Dieses Zurückbleiben der Verantwortungsfähigkeit wird durch wesentliche<br />
Umstände verstärkt:<br />
• durch die Hochkomplexität der Ursachenketten für die Zerstörung der ökologischen<br />
Gleichgewichte;<br />
• durch die Machtlosigkeit derer, die am meisten von Umweltkrisen, Kriegen,<br />
ökonomischer Unterentwicklung, armutsbedingter Krankheiten, Arbeitslosigkeit,<br />
Staatenzerfall und Gewalt betroffen sind;<br />
• durch das zeitliche Auseinanderfallen von verursachendem Handeln und umweltzerstörenden<br />
Folgen;<br />
• durch den verschwindend geringen Anteil individuellen Verhaltens der einzelnen<br />
Betroffenen an den Problemen, die aus den Eigentums- und Machtstrukturen<br />
entstehen;<br />
• durch das Grundgefühl der Mehrheit, dass Alternativen nicht machbar sind.<br />
Alle diese Momente, die Gesellschaftsalternativen lähmend entgegenstehen, treffen<br />
auf den Klimawandel besonders stark zu. Deshalb tritt auch in der Linken die<br />
Abwendung einer Klimakatastrophe durch Großanstrengungen für einen sozialökologischen<br />
Umbau der Gesellschaft entschieden hinter wichtigen und fassbareren<br />
Forderungen und Konzepten, z. B. für die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes,<br />
für eine repressionsfreie soziale Grundsicherung und eine Bürgerversicherung<br />
im Gesundheitswesen, für den Truppenabzug aus Afghanistan und gegen die<br />
Rente mit 67 zurück. <strong>Radikale</strong> <strong>Realpolitik</strong> darf aber nicht vor den größten<br />
6 Nicholas Stern: The Economics of Climate Chance. Cambridge MA 2006; Ottmar Edenhofer: Warum der Klimawandel<br />
ein moralisches und ökonomisches Problem ist. Potsdam 2006.<br />
7 Günter Anders: Die Antiquiertheit des Menschen. Bd. I. München 1985, S. 266 f.<br />
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