28.10.2013 Aufrufe

Radikale Realpolitik - Rosa Luxemburg Stiftung

Radikale Realpolitik - Rosa Luxemburg Stiftung

Radikale Realpolitik - Rosa Luxemburg Stiftung

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

sondern sie wird wegen ihrer bescheidenen Zielsetzung eher auf einen hinteren<br />

Rang verwiesen. Das Ziel muss ausgerichtet sein auf eine Perspektive, die aus der<br />

Kritik der politischen Ökonomie kommt. Diese bestimmt nicht bloß die Linie im<br />

Großen und ist nicht bloße Phrase, sondern sie soll jeden einzelnen Zug bestimmen,<br />

sie ist eine Währung, »Scheidemünze« der Tagespolitik, in die umgewechselt,<br />

also übersetzt werden muss. Wie Eisenspäne in einem Magnetfeld sollen die<br />

reformerischen Vorhaben ausgerichtet sein auf diese Perspektive. Das verändert<br />

auch Begriff und Inhalt von Reform, und zwar nicht so sehr in Bezug auf das, was<br />

im Einzelnen erstritten werden soll, sondern wie es eingebettet ist und also übersetzt<br />

werden kann in die Frage nach den Gründen und entsprechend aufklärend<br />

verstanden werden kann.<br />

Ein etwas kompliziertes und doch anschauliches Beispiel ist ihr polemischer<br />

Umgang mit Kautskys Äußerungen zur Schutzzollpolitik. Er denke nicht,<br />

»Wir müssen gegen den Schutzzoll sein, weil er von der kapitalistischen Entwicklung<br />

überholt worden ist, sondern: Wir dürfen gegen den Schutzzoll sein, weil<br />

er für die Industrie nunmehr überflüssig ist« (GW 1/1, S. 248).<br />

Obwohl im Ergebnis nicht unterschieden, dient das Beispiel dazu, zu zeigen,<br />

wie Kautsky vom Standpunkt der Industrie denkt, während er vom Standpunkt der<br />

ökonomischen Entwicklung hätte argumentieren müssen, den Standpunkt der kapitalistischen<br />

Produktionsweise einnehmen, um über sie hinauszugehen. Gezeigt<br />

werden muss, wie Marx dies ausdrückt, die vergängliche Seite der Verhältnisse,<br />

um sie im Großen verändern zu können.<br />

Der historische Prozess wird von ihr als eine Art Tendenz aufgefasst, in die<br />

Menschen eingreifen, die also selbst Ergebnis praktischen Handelns ist. Offen<br />

bleibt hier noch, was genau die revolutionäre Perspektive ist, in der die <strong>Realpolitik</strong><br />

gemacht werden soll. Die Suche bringt uns mehrere weitere Grundaussagen und<br />

Vorgehensweisen, die typisch sind für <strong>Luxemburg</strong>, die aber an dieser Stelle nur<br />

sehr verknappt skizziert werden können. Sie fasst die kapitalistische Produktionsweise<br />

wie Marx als widersprüchlich. Der Kapitalismus untergräbt schließlich seine<br />

eigenen Grundlagen. Für diesen Vorgang benutzt sie gern die Metapher des Maulwurfs.<br />

Darunter fasst sie die Dialektik der Geschichte als unaufhörliches Wühlen<br />

im Innern der Gesellschaft, die Bewegung, die die feste Oberfläche sprengt. So<br />

kann als Maulwurf der Kapitalismus selbst auftreten, der das erstarrte Russland in<br />

Bewegung bringt:<br />

»[…] sein Fundament unterwühlt jetzt der junge Maulwurf – der Kapitalismus,<br />

und das gibt eine Garantie für die Niederwerfung des Absolutismus von innen heraus«<br />

(GW 1/1, S. 42).<br />

Dabei befördert die Maulwurfsarbeit des Kapitalismus den Prozess des Werdens<br />

des klassenbewussten Proletariats. Kapitalismus ist also nach <strong>Luxemburg</strong><br />

nicht einfach abzuschaffen und etwa per Wahl durch sozialistische Politik zu ersetzen<br />

– wie Kautsky und Bernstein annehmen. Ironisch charakterisiert sie deren<br />

14

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!