Radikale Realpolitik - Rosa Luxemburg Stiftung
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Ich plädiere dafür, eine tiefgründige Diagnose – um mit den Worten von Francis<br />
Wurtz zu sprechen – des irischen »No« vorzunehmen.<br />
Wer immer aber bestehende oder noch im Ratifizierungsprozess befindliche<br />
Grundverträge einer Staatenunion so verändern will, dass sie eine demokratische,<br />
zivile, sozial-ökologisch nachhaltige und solidarische Entwicklung ermöglichen,<br />
will, dass die Europäische Union eine Zukunft hat. Wer die Europäische Union<br />
jenen entreißen will, die sie neoliberal, antidemokratisch und militärisch umgestalten,<br />
kann als Linke nicht nur glühende Feministin sein, sondern muss europäisch/global<br />
denken, handeln und fühlen wollen.<br />
»Change the Treaty« ist unter den gegenwärtigen Kräfteverhältnissen in Europa<br />
eigentlich das Unmögliche, das die Europäische Linke versuchen muss.<br />
Das irische »Nein!« ist trotz der gegenwärtigen gesellschaftlichen und strategischen<br />
Schwäche der europäischen Linken möglich geworden. Sinn Féin hat eine<br />
kluge und offene, auf breite Bündnisse angelegte Kampagne zum Referendum geführt.<br />
Das »Nein!« aus Irland für eine alternative Entwicklung in der EU produktiv zu<br />
machen, setzt die Fähigkeit und Bereitschaft der linken Parteien und Akteure voraus,<br />
zielgerichtet sich um andere Kräftekonstellationen in der EU zu mühen, offen<br />
zu sein für die Entwicklung einer breiten Bewegung all jener, die gleiche oder<br />
ähnliche Fragestellungen aufwerfen.<br />
Zu der von Francis Wurtz angeregten Diagnose des irischen »Nein« gehören<br />
also nicht nur Fragen an die irischen Kampagnenträger, sondern auch an uns, die<br />
Europäische Linke, die sich als Teil der Bewegung versteht, die für ein anderes<br />
Europa eintritt.<br />
1. Was sind die Ursachen dafür, dass sich das Fenster, das mit der Ablehnung des<br />
Verfassungsentwurfs in Frankreich und in den Niederlanden aufgestoßen wurde,<br />
nicht weiter öffnen ließ und eine breite Bewegung entstand, die die Durchführung<br />
von Referenden in weiteren Mitgliedsstaaten unüberhörbar auf die Agenda<br />
gesetzt hätte?<br />
2. Worauf könnte sich eine vor dem Hintergrund des irischen »No!« neu entstehende<br />
Bewegung konzentrieren? An welche Erfahrungen kann angeknüpft werden?<br />
Wie weit kann sich eine solche Bewegung öffnen, um all jenen, die gleiche<br />
oder ähnliche Fragen stellen, eine gemeinsame Plattform zu bieten?<br />
3. Für die Forderung nach Neuverhandlung des Vertrages gibt es möglicherweise<br />
nur eine kurzes Zeitfenster: die Phase des Ratifizierungsprozesses, vorerst also<br />
bis Ende des Jahres 2008. Eine Phase, die voll und ganz mit der Französischen<br />
Präsidentschaft zusammenfällt.<br />
Die Regierenden werden unter allen Umständen an ihrer Planung festhalten wollen,<br />
die Europawahlen 2009 auf einer erneuerten Basis durchzuführen (siehe Merkel-Rede<br />
zum 50. Jahrestag der Unterzeichnung der Römischen Verträge, Berlin<br />
15.03.2007).<br />
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