Radikale Realpolitik - Rosa Luxemburg Stiftung
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tion durchaus ihre konkrete Gestalt verändern kann. Wir wissen, dass die globale<br />
Entwicklung des Kapitalismus auch tiefe Krisen meistern und überstehen kann,<br />
wenn sich im Ergebnis dieser Krisen neue stabile hegemoniale Formen mit spezifischen<br />
Akkumulationsregimen und Regulationsweisen herausbilden, die neue<br />
Entwicklungspotenziale mit sich bringen. Und wir wissen auch, dass solche Formen<br />
nicht im Selbstlauf entstehen, sondern in einem konfliktorischen Prozess mit<br />
vielen beteiligten Akteuren, die mehr oder weniger bewusst handeln, und dass sie<br />
dabei sehr unterschiedliche, zum Teil gegenläufige Tendenzen der Gesellschaftsentwicklung<br />
in sich aufnehmen. Es ist also ein ausgesprochen schwieriges analytisches<br />
Feld, das wir hier beackern. Nebenbei bemerkt, umso wunderlicher mutet<br />
der Habitus der Unanfechtbarkeit und Gewissheit an, mit dem sich manche Verfechterinnen<br />
und Verfechter linksverorteter Positionen nach wie vor in die öffentlichen<br />
und Mediendiskurse stürzen.<br />
Meine These ist: Oft genug behaupten wir mehr, wir wüssten um unser Tun, als<br />
das tatsächlich der Fall ist. Nun gut, wer steht schon gern zu seinen eigenen Defiziten?<br />
Das erfordert Mut und bietet offene Flanken, auch im innerparteilichen<br />
Meinungskampf – und hier sind wir, was den Stil und die Methode unserer Politik<br />
angeht, oft nicht weniger bürgerlich als die bürgerlichen Parteien. Hinzu kommt<br />
aber, dass der lange Schatten der Überzeugung, auf der Seite der Sieger der Geschichte<br />
zu stehen und Vollstrecker eines vorgegebenen Ablaufes zu sein, immer<br />
noch sehr stark die inhaltliche Substanz unserer Diskussionen verdunkelt. Und oft<br />
genug ist es nicht die leise, mit Fragen befasste Bemühung um Analyse, die in den<br />
innerparteilichen Diskursen en vogue ist, sondern die möglichst eindeutige und<br />
unumstößliche Pose historischer Missionen und klarer Ansagen ohne »Wenn...«<br />
und »Aber...«.<br />
Linke Politik muss außerhalb der Parlamente verankert bleiben<br />
Trotz all dieser Kompliziertheiten ist nun der Anspruch, den <strong>Rosa</strong> <strong>Luxemburg</strong> an<br />
eine sozialistische Politik formuliert, alles andere als obsolet geworden. Auch<br />
wenn uns die Bestimmung der Richtung der historischen Entwicklung heute bei<br />
weitem nicht mehr so einfach erscheint, so gibt es eine Anforderung oder ein Kriterium,<br />
das ich in Anlehnung an <strong>Rosa</strong> als grundlegendes Entscheidungsmerkmal<br />
einer »revolutionären« oder »radikalen <strong>Realpolitik</strong>« im Vergleich zu ihrer bürgerlichen<br />
Schwester geltend machen würde: Politik im Hier und Heute nicht nur mit<br />
Blick auf die unmittelbaren Wirkungen zu betreiben, sondern sie nach Möglichkeit<br />
so zu gestalten, dass sie einen Keim für die zukünftige Transformation der bestehenden<br />
Verhältnisse legt. Wenn wir »radikal« verstehen im Sinne von »an die Wurzel<br />
gehend«, dann ist die Aussicht transformationsfördernden Eingreifens in die<br />
vorgefundenen Kräfteverhältnisse wohl die adäquate Form, heute radikale <strong>Realpolitik</strong><br />
zu definieren. Das bedeutet freilich noch nicht einmal, dass wir uns den Lu-<br />
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