Radikale Realpolitik - Rosa Luxemburg Stiftung
Radikale Realpolitik - Rosa Luxemburg Stiftung
Radikale Realpolitik - Rosa Luxemburg Stiftung
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
sozialen Besitzstände und ihr Sozialeigentum (soziale Ansprüche) auch in Zeiten<br />
wachsender Unsicherheiten behalten zu können. Sie wurden alle in den Status der<br />
potentiell Prekarisierten versetzt. Gleichzeitig wurde dies formal weitgehend unabhängig<br />
von Geschlecht, Hautfarbe und sexueller Neigung gemacht (auch wenn<br />
es sie real überproportional trifft). Die Arbeitskraft wurde zugleich entsichert und<br />
enttraditionalisiert. Es konnte nun jeden treffen – selten in guter und oft in böser<br />
Weise. Der Angriff auf »Sozialschmarotzer« legitimierte die Entsolidarisierung<br />
der Gesellschaft und die Entsicherung aller derer, die von Lohnarbeit und Sozialtransfers<br />
abhängig sind.<br />
Der radikale Neoliberalismus ist eine Politik, die aus dem Bündnis der Bessergestellten<br />
unter der Hegemonie von Finanzmarkteliten, Finanzfonds und den führenden<br />
Gruppen des Wettbewerbsstaats (Joachim Hirsch), einschließlich ihrer militärisch-industriellen<br />
Fraktionen, hervorgeht. Dieses Bündnis hat klare Projekte,<br />
ein deutlich formuliertes Menschenbild (der Einzelne als »Unternehmer seiner eigenen<br />
Arbeitskraft und Daseinsvorsorge«), eine prägnante Gesellschaftsvorstellung<br />
(das Ideal der »freien Märkte« als universeller Problemlösungsmotor), eine<br />
Kultur der Selbstinszenierung der »Alpha-Tiere« und Lustmenschen, 20 einen Politikstil<br />
der Insider-Experten wie Peter Hartz oder Bert Rürup, fehlender Alternativen<br />
(»There is no alternative« – Margret Thatcher) und des Basta!<br />
Ungezügelter Wettbewerb, sozialer Druck, Überführung eines möglichst großen<br />
Teils des gesellschaftlichen Vermögens in die Finanzwelt, freier Kapital- und Devisenverkehr<br />
und Förderung aller Arten privater Vermögensanlagen sollen eine<br />
neue Dynamik des Wachstums freisetzen, für die die USA über jetzt anderthalb<br />
Jahrzehnte stehen. Grundlage ist die »Wealth-Creation-Theory« des Neoliberalismus:<br />
»Wirtschaftspolitik hat danach die Aufgabe, den Marktwert von Vermögen<br />
ständig zu erhöhen und eine Transformation in eine Eigentümergesellschaft zu befördern.«<br />
21 Wachsende Verschuldung des Staates und der Bürger, eine expansive<br />
Geld- und Fiskalpolitik sind gewollt. In der Erwartung höherer Einkünfte in der<br />
Zukunft soll heute mehr investiert und gekauft werden. Wachstum könne vor allem<br />
durch die Annahme wachsender Werte von Vermögen herbeigerufen werden.<br />
Eine solche Politik verändert die Kräfteverhältnisse in der Gesellschaft grundlegend<br />
zugunsten jener, die über Vermögen verfügen, direkten Zugriff auf die Verfügung<br />
von Finanzkapital oder international agierenden Unternehmen haben, die<br />
über eine auch global konkurrenzfähige Qualifikation verfügen und im hohen<br />
Maße flexibel sind. Und es wertet alle anderen ab, senkt die Macht der Lohnabhängigen<br />
und ihrer Vertretung, schwächt den öffentlichen Sektor und seine Ausstrahlung<br />
auf Lohnniveau und Regulation der Arbeit. Dies schafft US-amerikanische<br />
Bedingungen, von denen der Finanzinvestor Warren Buffett im Jahresbrief<br />
20 Keinesfalls zufällig posierte Schröder in Brioni-Anzügen und mit Cohiba-Zigarre.<br />
21 Joachim Bischoff: Vom »goldenen Zeitalter« zur Ära der Turbulenzen der Globalökonomie. Überlegungen zum<br />
finanzmarktgetriebenen Kapitalismus. In: Z, Nr 73 (März 2008), S. 38.<br />
135