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Radikale Realpolitik - Rosa Luxemburg Stiftung

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und damit Gesetzeskraft erlangt. In dieser Konstellation blieb uns natürlich die<br />

Möglichkeit, auf die Art und Weise der Umsetzung der Gesetze in Berlin dort Einfluss<br />

auszuüben, wo den Ländern Gestaltungs- und Umsetzungsspielraum eingeräumt<br />

ist. Aber die Erwartung vieler von den Gesetzen Betroffener und auch in der<br />

eignen Partei bestand schon auch darin, dass wir uns der konstituierenden Regel<br />

innerhalb des föderalen Systems, Bundesrecht anzuerkennen, grundsätzlich widersetzen<br />

mögen. Als Signal von Konsequenz und Widerstand.<br />

Wie nun kann man unter diesen Bedingungen dem Anspruch einer revolutionären<br />

<strong>Realpolitik</strong> gerecht werden? Wir haben uns dafür entschieden, zum einen<br />

dem Anspruch auf Information und Aufklärung über den Charakter dieser »Reform«<br />

gerecht zu werden, indem wir sie auf allen Ebenen kritisiert und auf der<br />

Straße dagegen protestiert haben. Zugleich haben wir uns bemüht, die verbliebenen<br />

Möglichkeiten zu nutzen, um die mit der Einführung der Hartz-Gesetze einhergehenden<br />

sozialen Verschlechterungen soweit wie möglich einzuschränken.<br />

Insbesondere was die Zahl der Wohnungsumzüge durch Hartz IV betrifft, scheint<br />

uns das in der Bilanz auch einigermaßen gelungen zu sein. Zumindest deuten nicht<br />

nur deren verhältnismäßig geringe Zahl darauf hin, sondern auch die aktuellen Angriffe<br />

der Großen Koalition im Bund auf die Berliner Regelung.<br />

Aber nicht diese abwehrende Position wirkte seinerzeit irritierend, vielmehr<br />

war es der Umstand, dass die PDS mit ihrem Spitzenpersonal einerseits protestierend<br />

auf der Straße war, andererseits aber in der Verantwortung für den konkreten<br />

Vollzug des Gesetzes stand, gegen das sie demonstrierte. Damit hatte nicht nur so<br />

mancher in der Protestbewegung seine Schwierigkeit. Auch der Koalitionspartner<br />

war alles andere als amüsiert. Von unserem Umgang mit dem Widerspruch, in dem<br />

wir uns befanden, war er einigermaßen empört: Aus seiner Sicht gehörte es sich<br />

als mitregierende Partei schlicht nicht, außerparlamentarischen Protest zu unterstützen.<br />

Darin sah die Berliner SPD einen klaren Verstoß gegen die Spielregeln des<br />

politischen Betriebs. Auf Seiten der Bewegung und bis hinein in weite Teile der<br />

eigenen Partei allerdings vollzog sich spiegelbildlich das Gleiche.<br />

Es geht hier aber genau darum, wie wir mit einem aus linker Perspektive allgegenwärtigen<br />

Widerspruch umgehen: Einerseits wissen wir um die dringende Notwendigkeit,<br />

dass die Verhältnisse eigentlich grundlegend verändert werden<br />

müssten, wollten wir unsere eigenen Ansprüche an die Selbstbestimmung und<br />

Freiheit des Individuums in der Gesellschaft einlösen. Andererseits müssen wir<br />

uns bewusst sein, das nicht unmittelbar bewerkstelligen zu können. Als Schlussfolgerung<br />

aus den vergangenen 100 Jahren ließe sich noch die Erfahrung hinzufügen,<br />

dass die »Inbesitznahme der Staatsmaschinerie« und ihre Zerschlagung genausowenig<br />

ein brauchbarer Königsweg zum Sozialismus ist wie ihre Eroberung<br />

und Inbetriebnahme zu eigenen Zwecken. Letztlich entwickeln sich neue politische<br />

Formen als Keim für neue gesellschaftliche Verfasstheit nur jenseits der und<br />

in widersprüchlicher Reibung mit den gegebenen, hegemonialen Formen, und mit<br />

emanzipatorischem Anspruch entwickelt sich genau dort Fähigkeit von Menschen<br />

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