Radikale Realpolitik - Rosa Luxemburg Stiftung
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Bundesrepublik der Nachkriegszeit entwickelte Formen einer spezifischen »Verstaatlichung«<br />
der politischen Parteien (Parteiengesetzgebung, Parteienfinanzierung,<br />
Verfassungsbindung der Parteien, Partizipationsrechte in anderen »ideologischen<br />
Staatsapparaten«) allein aufgrund dieses allgemein geltenden Umstandes<br />
auch in anderen nationalen Kontexten als immer schon verwirklicht unterstellt<br />
werden könnten.<br />
Nationale Spezifika bleiben in dieser Hinsicht immer noch prägend für die jeweilige<br />
Stellung der politischen Parteien »zwischen Staat und Gesellschaft« – und<br />
auch die wachsenden europäischen bzw. globalen Herausforderungen an Politik<br />
werden zwar in der Tat zumeist durchaus aufgenommen und verarbeitet, aber doch<br />
in national sehr unterschiedlichen Formen und Mustern. Der Springpunkt dieser<br />
nationalen Unterschiedlichkeit liegt darin, wie jeweils die Aufgabe gelöst wird,<br />
wie sie zynisch-reaktionäre PolitologInnen der repräsentativen Demokratie zugeschrieben<br />
haben: Nämlich demokratische Mehrheiten für eine Politik zu organisieren,<br />
die wichtigen Interessen einer gesellschaftlichen Mehrheit zuwiderläuft. Dabei<br />
kommen dann unterschiedliche »politische Techniken« zum Einsatz, die von<br />
Ausschluss erheblicher Teile, insbesondere der armen oder arbeitenden Bevölkerung<br />
von Wahlrecht (Frauen, »Jim Crow« in den Südstaaten der USA bis zu den<br />
1960er Jahren, Ausschluss von ImmigrantInnen und insbesondere sogenannte Illegalen<br />
von jeder politischen Beteiligung über die direkte politische Manipulation<br />
der Wählenden, mediale Irreführung (Stimmenkauf, mediale Ablenkung von den<br />
wirklichen Entscheidungsfragen, Desorientierung und Einschüchterung potenzieller<br />
WählerInnen) bis hin zur i.e.S. politischen Orientierung von WählerInnen<br />
(etwa durch Wahlkämpfe) reicht. In diesen Prozessen wird in allen modernen Gesellschaften<br />
auf Kategorien wie »Rasse«, »Geschlecht« oder auch »Alter« zurückgegriffen,<br />
um die Wahlbevölkerung dazu zu motivieren, in einem herrschaftlich –<br />
einerseits erwünschten Sinne abzustimmen –, selbst wenn dies offensichtlich<br />
gegen ihre eigenen Interessen geht.<br />
Schließlich bleibt als übergreifende Fragestellung noch zu erörtern, wie es überhaupt<br />
denkbar ist, dass in derartigen, sich historisch sehr unterschiedlich entwickelnden<br />
Prozessen der politischen Organisierung, der öffentlichen Herausbildung<br />
von politischen Programmatiken bis hin zur Durchsetzung entsprechender parlamentarischer<br />
Parteien auch widerständige und herrschaftskritische Bestrebungen<br />
nachhaltig wirksam werden können. Zweifellos gibt es in dieser Hinsicht eine<br />
Sondergeschichte der Arbeiterparteien: Sozialdemokraten, Sozialisten, Kommunisten,<br />
Anarchosyndikalisten haben in unterschiedlichen Ländern und zu unterschiedlichen<br />
Zeiten eindrucksvolle Organisierungs- und Gegenmachtleistungen<br />
vollbracht. 24 Dies geschah in sehr unterschiedlichen Gestaltungen, deren program-<br />
24 Zu dieser Besonderheit gehört aber auch ihre relative Unfähigkeit im Umgang mit den Spaltungen, wie sie in dem<br />
endemisch unter Linken erhobenen Verratsvorwurf, in den von neuen linken Formationen mit erstaunlicher Naivität<br />
immer wieder entworfenen Ersetzungsperspektiven gegenüber älteren Organisationen, bzw. in den auf die<br />
Enttäuschung derartiger Perspektiven immer wieder folgenden Praktiken eines eher resignativen, »organisations-<br />
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