Radikale Realpolitik - Rosa Luxemburg Stiftung
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die gegenwärtige Situation gezogen werden können: für heutige Linksradikale,<br />
und für Linke, die in DIE LINKE arbeiten. 1<br />
Ausgangspunkt der (Selbst-)Affirmation von linkem Radikalismus waren (und<br />
sind) zwei Punkte. Erstens – wie schon gesagt – eine radikale Staats- und deshalb<br />
auch Partei(en)- und zuletzt konsequente »Politik«-Kritik. Dieser Kritik gemäß<br />
verstehen sich Linksradikale eben nicht als Staats- oder Partei-, sondern als Bewegungslinke.<br />
Zweitens und dem folgend der Bezug auf den Begriff und die Sache<br />
selbst der Bewegung. Traditionell verstanden Linke darunter die gewerkschaftlich<br />
sowie in sozialdemokratischen und kommunistischen Parteien repräsentierte Arbeiterbewegung.<br />
Von der schieden sie deshalb immer schon die Teile ab, die Linksradikale<br />
ihrerseits als »andere« Arbeiterbewegung zum Bezugspunkt nahmen. 2<br />
Mit den 1960er Jahren aber formierten sich die »Neuen Sozialen Bewegungen«,<br />
in deren Perspektive die Arbeiterbewegung ihrerseits zur »Alten Sozialen Bewegung«<br />
wurde. Zu nennen ist hier, allen voran, die Frauenbewegung, zugleich die<br />
Student/innen-, Schüler/innen-, Lehrlings- und überhaupt Jugendbewegung, dann<br />
die Umweltbewegung und schließlich, dem Vektor eines nicht-quantitativen »Minderheitlich-Werdens«<br />
folgend, immer neue und je »andere« Bewegungen: darunter<br />
nach wie vor eine solche »andere« Arbeiterbewegung. 3<br />
Auf sie bezogene Bewegungspolitik zu machen, unterschied sich in vielfacher<br />
Weise von traditioneller Klassen-, Partei- und zuletzt Staatspolitik. Dies begann<br />
mit der Bestimmung des Politischen und der Politik selbst, die solche »in Erster<br />
Person« sein sollte. Medium waren primär weder Staat noch auch »Gesellschaft<br />
im Ganzen«, sondern Alltag und Alltagsleben: Hier war der Ort der Subversion<br />
wie der Alternative, hier waren die Orte qualitativ neu verstandener Organisation.<br />
Anfangs definitiv revolutionär verstanden, war das Verhältnis zur hier und heute<br />
schon zu praktizierenden Veränderung und mithin zu Reform (und Reformation!)<br />
allerdings ein ganz anderes als im klassisch-revolutionären Verstand, der das Andere<br />
auf die Zeit »nach der Revolution« verschob. Das war wirklich neu, war anders,<br />
war ein Versprechen und – funktionierte nur ambivalent.<br />
Um es kurz zu machen: Mit der in den 1970er Jahren durchschlagenden Krise<br />
des Kapitalismus kam die den Neuen Sozialen Bewegungen sich anmessende<br />
»Neue Linke« sukzessive auch in ihre Krise. Die artikulierte sich – ich kürze wieder<br />
ab und bring’s aufs hier leitende Thema – in ihren beiden »realpolitischen« –<br />
na ja – Lösungen: dem Projekt der Grünen als Partei und mehr noch als Lebens-<br />
1 In einem Seminar zur radikalen <strong>Realpolitik</strong> erläuterte ich diese Geschichte am berüchtigten »Putzpapier« aus der<br />
in den 1970ern im Rhein-Main-Gebiet aktiven Gruppe Revolutionärer Kampf (RK), die zum Verbund der sog.<br />
»WWA«-Gruppen gehörte, benannt nach der Zeitung Wir wollen alles.<br />
2 Karl Heinz Roth: Die »andere« Arbeiterbewegung und die Entwicklung der kapitalistischen Repression von 1880<br />
bis zur Gegenwart. Ein Beitrag zum Neuverständnis der Klassengeschichte in Deutschland. München 1974.<br />
3 Vgl. Thomas Seibert: Wahrheit, Ereignis und wirkliche Bewegung. Zur De/Konstruktion von Subjektivität. Philosophie.<br />
Politik. In: Christina Kaindl (Hg.): Subjekte im Neoliberalismus. Marburg 2007, S. 259 ff. Vgl. auch<br />
Gilles Deleuze, Félix Guattari: Tausend Plateaus. Kapitalismus und Schizophrenie. Bd. 2. Berlin 1992, S. 140 ff,<br />
S. 145 ff., S. 396 ff., S. 650 ff. Für den analogen Gebrauch der Begriffe des Molaren, des Molekularen und des<br />
Molekular-Werdens vgl. außerdem Gilles Deleuze, Claire Parnet: Dialoge. Frankfurt am Main 1980, S. 133-158.<br />
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