Radikale Realpolitik - Rosa Luxemburg Stiftung
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Die einstige Machtbalance zwischen Kapital und Arbeit hat sich zugunsten des<br />
Kapitals aufgelöst. Ein wachsender Teil der Altbundesbürger erfährt das im eigenen<br />
Alltag und erkennt im extremen sozialen Gefälle den größten gesellschaftlichen<br />
Konflikt. Auch Neubundesbürger nehmen das verstärkt wahr und erinnern sich daran,<br />
dass bei nicht zu beschönigenden Fehlentwicklungen im Realsozialismus und<br />
bei zu verurteilenden Menschenrechtsverletzungen den sozialen Verhältnissen in<br />
der DDR eine eskalierende Arm-Reich-Polarisierung, auffällige Kinderarmut, Bildungsmisere,<br />
Furcht älterer Menschen vor sozialem Abstieg fremd waren. Anzeichen<br />
einer Akzeptanzkrise des real existierenden Kapitalismus sind unübersehbar.<br />
Einer repräsentativen Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach zufolge<br />
waren Ende 2007 nur noch 24 Prozent der Befragten davon überzeugt, dass »wir<br />
eine soziale Marktwirtschaft haben«. 62 Prozent meinten, das deutsche Wirtschaftsmodell<br />
sei nicht wirklich sozial. Nur noch 15 Prozent bezeichneten die wirtschaftlichen<br />
Verhältnisse im Großen und Ganzen als gerecht, 56 Prozent empfanden sie<br />
als nicht gerecht. 7 Anders als in früheren Aufschwungphasen ging der Anteil der<br />
Unzufriedenen diesmal nicht zurück. Die kritische Haltung gegenüber dem Kapitalismus<br />
ist in Ostdeutschland besonders stark ausgeprägt. 8<br />
Die schwarz-rote Bundesregierung lässt das nicht gänzlich unbeeindruckt. Genervt<br />
reagierte sie mit Verlängerung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld für Ältere,<br />
mit der Einführung eines Mindestlohnes in der Postbranche und einer Reichensteuer.<br />
Ein Steuerzuschlag auf Millioneneinkommen ist im Gespräch. Zu<br />
kritisieren ist das nicht. Aber es sind lediglich Trostpflaster auf systembedingte<br />
Risse in der Gesellschaft. Die soziale Frage im Grundsatz bleibt unberührt. Eigentum<br />
als soziales Verhältnis kommt nicht zur Sprache. Bei der Mehrheit der Deutschen<br />
wächst das Unbehagen an solcher Politik. Aber die Mehrheit hält gleichzeitig<br />
das Gegenwärtige für alternativlos, weil sie von Änderungschancen nicht<br />
überzeugt ist. Nach der jüngsten Allensbach-Umfrage sind es nur (oder doch immerhin)<br />
14 Prozent, die eine Alternative dazu sehen. 9 Politische Kräfte, die wie<br />
DIE LINKE eine Gesellschaftsveränderung anstreben, stehen daher vor mehrfacher<br />
Herausforderung:<br />
Erstens geht es um radikale Kritik an den gegenwärtigen Verhältnissen. Das<br />
wird von den politischen Gegnern zwar gern als »Kultur einer Protestpartei« denunziert,<br />
darf aber nicht schrecken. Das zu erwartende oder das tatsächliche Echo<br />
in bürgerlichen Medien kann nicht Richtschnur für linkes Handeln sein. <strong>Radikale</strong><br />
Kritik macht kenntlich, dass die Ängste vieler Menschen und die Ursachen dafür<br />
ernst genommen werden. Nur so können die Bürgerinnen und Bürger Politik als<br />
etwas entdecken, das mit ihrer eigenen Lebenswirklichkeit zu tun hat, mit existenziellen<br />
Fragen des Individuums wie der Gemeinschaft.<br />
7 Die Unzufriedenheit nimmt zu. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 11. 12. 2007.<br />
8 Deutsche zweifeln am Kapitalismus. In: Süddeutsche Zeitung vom 17. 06. 2008.<br />
9 Deutsche zweifeln an Marktwirtschaft. In: Welt kompakt vom 9. 6. 2008.<br />
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