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Radikale Realpolitik - Rosa Luxemburg Stiftung

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was Kontingenz auf höchster Stufe genannt werden kann, mit dem Charakter dauernder,<br />

doch eben partieller Vermittlung. Diese Art von Kontingenz, im endlich<br />

vertrauenswürdigen Sinn der Sache, heißt schöpferischer, zu Bildungen und Schöpfungen<br />

offener Reichtum der Variabilität. Es ist dies eine nicht äußerliche, sondern<br />

gesetzmäßig-sachhaft vermittelte Variabilität, doch eben eine der unvereitelten<br />

Richtungsänderung, vor allem der unerschöpften Neubildung. Hier ist selbst eine<br />

sogenannte Zufälligkeit nicht mehr mit bloß äußerer Notwendigkeit zusammenfallend,<br />

sondern sie bildet, als eine mit dem gesetzhaft Notwendigen dialektisch vermittelte,<br />

gerade das Blühende, Charakteristische, die geordnete Entwicklungsfülle<br />

der offenen Welt.« 10<br />

Damit hat Bloch zugleich aber den unmittelbaren Kontakt zu der Situation des<br />

konkret politisch Handelnden verloren: So »vertrauensvoll« können wir Geschichte<br />

betrachten, aber nicht wirksam in ihr handeln. Lukács rettet sich vor dieser<br />

Konsequenz der von ihm eingeleiteten Dialektisierung, indem er die spezifische,<br />

führende und aktiv vermittelnde Rolle »der Partei« genau an dieser Stelle<br />

»ins Spiel bringt«: »Das bedeutet praktisch, daß die Rolle der Partei in der Revolution<br />

– der große Gedanke des jungen Lenin – im Zeitalter des Überganges zum<br />

Sozialismus noch größer und entscheidender wird, als sie es in der vorbereitenden<br />

Epoche gewesen ist. Denn je größer der aktive, den Gang der Geschichte bestimmende<br />

Einfluss des Proletariats wird, je schicksalhafter – im guten wie im schlechten<br />

Sinne – die Entscheidungen des Proletariats für sich und für die ganze Menschheit<br />

werden, desto wichtiger bleibt es, den einzigen Kompass auf diesem wilden,<br />

sturmbewegten Meer, das Klassenbewusstsein des Proletariats in reiner Gestalt zu<br />

bewahren; diesen Geist, den einzig möglichen Führer im Kampfe, zu immer wachsender<br />

Klarheit heranzubilden. Diese Bedeutung der aktiv-geschichtlichen Rolle<br />

der Partei des Proletariats ist ein Grundzug der Theorie und deshalb der Politik<br />

Lenins, den er nicht müde wird, immer wieder hervorzuheben und seine Bedeutung<br />

für die praktischen Entscheidungen zu betonen.« 11<br />

Diese Art von Partei war schon damals ein Postulat, dessen Realitätstüchtigkeit<br />

bestritten werden konnte. Sie steht uns heute jedenfalls nicht mehr zur Verfügung<br />

– weder als ein unmittelbar zu nutzendes Angebot, noch als eine zu bewältigende<br />

Aufgabe etwa eines »Parteiaufbaus«. Bleibt demgemäß also nur noch eine dialektische<br />

Geschichtsbetrachtung einerseits, die immer nur retrospektiv funktioniert,<br />

und eine napoleonische Praxis der Ad-hoc-Entscheidung im Hinblick auf Fragen<br />

der Praxis zur Gestaltung von Zukunft andererseits?<br />

Diese Frage zwingt uns dazu, zu einer weiteren Fragestellung überzugehen: Zur<br />

Frage nämlich, ob Staat, Parteien und Regierungen in dem strategischen Konzept<br />

einer Politik der Befreiung überhaupt eine wichtige Rolle übernehmen können.<br />

10 Ernst Bloch: Das Prinzip Hoffnung. Bd. 1, Frankfurt am Main 1970, S. 258ff.<br />

11 http://marxists.architexturez.net/deutsch/archiv/lukacs/1924/lenin/kap6.htm<br />

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