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Radikale Realpolitik - Rosa Luxemburg Stiftung

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xus erlauben könnten, uns ausschließlich darauf zu beschränken und die Gestaltung<br />

»aller übrigen Politiken« an andere zu delegieren, wie es in griffigen<br />

Forderungen, nicht »der Arzt am Krankenbett des Kapitalismus« sein zu dürfen,<br />

als Wunsch durchscheint. Aber dazu später mehr.<br />

Wie lässt sich diesem Anspruch unter der Bedingung gerecht werden, an einer<br />

Regierung beteiligt zu sein? Für <strong>Rosa</strong> <strong>Luxemburg</strong> war das Regieren bekanntlich<br />

keine Position, der sie sonderlich viel Vorteilhaftes abgewinnen konnte. Sie sah im<br />

Eintritt in eine bürgerliche Regierung doch die Gefahr, dass die (von ihr sowieso<br />

als »überschätzt« bewerteten) Optionen, dem Kapitalismus auf parlamentarischen<br />

Wege beizukommen, das Agieren der sozialdemokratischen Partei noch mehr dominieren<br />

würden als ohnehin schon. Auch die mit Parlamentarismus und institutioneller<br />

Verankerung verbundene Wandlung der Perspektive der Sozialdemokratie<br />

– weg von der Vertretung von Klasseninteressen der ausgebeuteten Massen hin zur<br />

Zuständigkeit »für das Große und Ganze« (oder zumindest der Notwendigkeit, es<br />

im Blick behalten zu müssen) – dürfte ihr als keineswegs sonderlich attraktiv erschienen<br />

sein. <strong>Rosa</strong> hat sich jedoch (auch im Wissen um die integrierenden und<br />

systemstabilisierenden Kräfte des bürgerlichen Parlamentarismus) nicht grundsätzlich<br />

gegen ein Wirken auch in diesen institutionellen Formen ausgesprochen.<br />

Sie forderte schließlich immer wieder ein kritisches Bewusstsein über die Begrenztheit<br />

der Möglichkeiten und die Widersprüche ein, innerhalb derer man sich<br />

auf diesem Feld bewegt. Und das wäre gewiss nicht der Fall gewesen, wenn aus<br />

ihrer Sicht beides unvereinbar ist: der Anspruch, einerseits radikale <strong>Realpolitik</strong> zu<br />

betreiben und andererseits an einer Regierung beteiligt zu sein. <strong>Rosa</strong> hat sich bereits<br />

1899 in ihrer Artikelserie »Sozialreform oder Revolution?« 5 gegen eine Unterschätzung<br />

der Wichtigkeit der gegebenen politischen Formen ausgesprochen,<br />

sie hielt ihre Nutzung für ein Mittel, um dem »Fernziel« näher zu kommen. 6 Wie<br />

gesagt: Voraussetzung ist, dass man sich dessen bewusst ist, was man tut, damit<br />

man tun kann, was man will.<br />

Ein solch kritisches Bewusstsein bildet allerdings nicht nur die Voraussetzung<br />

für die Beteiligung an einer Regierung. Ein solches Bewusstsein ist generell einzufordern,<br />

egal auf welchem Terrain des Politischen wir uns bewegen. Es gilt allerdings,<br />

sich der mit dieser Position verbundenen spezifischen Gefahren bewusst zu<br />

sein. Diese Politik ist selbstverständlich Politik unter bestehenden Herrschaftsverhältnissen,<br />

Politik, die die daraus resultierenden Brüche und Widersprüche im<br />

Blick zu behalten hat. Die Gefahr besteht einerseits darin, sich diesen Verhältnissen<br />

anzuschmiegen, statt sie zu verändern, und andererseits darin, Illusionen über<br />

das in einer spezifischen Situation Erreichbare zu erliegen.<br />

5 In: <strong>Rosa</strong> <strong>Luxemburg</strong>: Sozialreform oder Revolution? In: Gesammelte Werke Bd.1/1. S. 369 ff.<br />

6 In dieser Hinsicht ist die Debatte um Regierungsbeteiligungen als Ausdruck eines realen Spannungsfeldes so alt,<br />

wie die Diskussion in der Linken um Gesellschaftsveränderung. Als etwas mechanistische »Fernziel«-Debatte,<br />

unter anderem zwischen Kautsky und <strong>Luxemburg</strong>, kannte sie schon die Sozialdemokratie vor ihrer Spaltung in<br />

die sozialreformerische und die sozialrevolutionäre Partei.<br />

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