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das argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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K ongreßberichte 611<br />

was zu reflektieren, ich kann meinerseits nur Hypothesen bis an ihre Grenzen vorantreiben,<br />

<strong>das</strong> heißt, sie ihrer <strong>kritische</strong>n Referenzzone entreißen und einen Punkt überschreiten<br />

lassen, nach dem sie nicht mehr umkehrbar sind; ich lasse auch die <strong>Theorie</strong> in den<br />

Hyperraum der Simulation übergehen - sie verliert darin jede objektive Gültigkeit, gewinnt<br />

aber vielleicht an Zusammenhang, <strong>das</strong> heißt, an wesentlicher Affmität zum System,<br />

<strong>das</strong> uns umgibt.«<br />

Leicht zu erraten, warum Geschichte, Sinn und Referenz nur noch als Simulationsübung<br />

möglich sind: »Verlangsamung, Indifferenz und Erstarrung« lassen der Geschichte<br />

keinen Raum mehr, »sich abzuspielen, ihren Endzweck zu denken und ihr eigenes Ende<br />

zu träumen«, und die ständige »Intensivierung von Produktion und Revolution« in<br />

unserer Gesellschaft - zu der übrigens auch die Verbesserung der HiFi-Technik gehört,<br />

da sie die Musik in der Perfektionierung ihrer Wiedergabe verschwinden läßt - tut ein<br />

übriges, sie in Aktualität »implodieren« zu lassen. Die aktuelle weltgeschichtliche Entwicklung<br />

erspart es Baudrillard, nun den rituellen Verweis auf die große Persönlichkeit,<br />

die gewaltsame Aktion oder die erlösende Macht der Schizophrenie anzubringen: <strong>das</strong> lebensbedrohliche<br />

»Phantasma der globalen Katastrophe, die gegenwärtig über der Welt<br />

schwebt«, vermag ja einen »Abglanz jenes heftigen Verlangens nach Parusie«, nach der<br />

freiwilligen Zerstörung von Zeit und Geschichte durch Selbstmord, zu liefern, in dem<br />

sich die frühen Christen mit den späten Terroristen einig sein sollen. Offensichtlich gibt<br />

es sonst kein Ereignis mehr, <strong>das</strong> nicht zu einer »grausamen Routine« oder einer »rituellen<br />

Solidarität« erstarrt wäre - außer jenem legendären Mai 1968, der »mit seiner Kraft<br />

des Unsinns ... eine reine Wirkung plötzlicher Kristallisation (war) und kaum nennenswerte<br />

Folgen (hatte)« - »außer jener Verzögerung, die er für den Sozialismus<br />

bewirkte«! Derer dürfte man sich bei der atomaren Katastrophe sicher sein, wenngleich<br />

auch dies kein Verlust wäre, denn: »Der Sozialismus präsentiert sich als illusionsloser<br />

Verwalter des Stands der Dinge.« Als solcher darf sich auch Baudrillard betrachten, dessen<br />

hysterisches Einverständnis mit der Katastrophe sich mit den bestehenden Verhältnissen<br />

verbündet: »Wir haben uns mit der Zeit zu arrangieren; die Geschichte aber ist<br />

beendet.«<br />

»Gegen die hier stattfindende kollektive Erpressung und Faszination« - zu deren<br />

Opfer er sich bereitwillig macht - »kann nur moralisch etwas eingewendet werden, und<br />

<strong>das</strong> hat wiederum keinen Sinn mehr.« Baudrillard verdankt die Anregung zu seinen<br />

Überlegungen Canettis 1945 geäußerter Befürchtung, »die Menschheit (habe) die Wirklichkeit<br />

plötzlich verlassen; alles, was seither geschehen sei, wäre gar nicht mehr wahr«<br />

(Elias Canetti, Aufzeichnungen 1942-1972, Frankfurt/M. 1978,69). Wenige Seiten weiter<br />

hätte er auch die Beschreibung seiner eigenen Absichten finden können: »Man will<br />

die Gefahr selber so vergrößern, bis es gar kein Mittel gegen sie gibt und dann wendet<br />

man eins nach dem anderen verzweifelt und vergeblich an.« (ebd., 74)<br />

Claudia Albert (Berlin/West)<br />

»No First Use«<br />

Evangelische Akademie Loccum, 13.-15. April 1984<br />

Auf westlicher Seite gibt es hauptsächlich innerhalb der US-amerikanischen Diskussion<br />

immer wieder Bestrebungen, die auf eine stärkere Konventionalisierung der Waffenarsenale<br />

und entsprechend der Militärdoktrinen drängen. Der jüngste Vorschlag unter dem<br />

Titel »No First Use« (NFU) wurde von der Union of Concerned Scientists am 1. Februar<br />

1983 gleichzeitig in Washington, London und Bonn der Öffentlichkeit vorgestellt.<br />

Die Forderung, daß die NATO auf die Option des Ersteinsatzes von Atomwaffen verzichten<br />

möge (wie es die Warschauer-Pakt-Staaten in einer Erklärung vor den Vereinten<br />

Nationen am 16. Juni 1983 getan haben), wird in den USA inzwischen von 43 Nobelpreisträgern,<br />

rund 500 Mitgliedern der Akademie der Wissenschaften und den katholi-<br />

DAS ARGUMENT 146/1984 ©

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