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das argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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550 Jost Hermand<br />

getragen. So schreibt etwa August Mayer, einer der führenden Frauenärzte im<br />

Rahmen der rassenhygienischen Bewegung, 1938 in seinem Büchlein Deutsche<br />

Mutter und deutscher Au/stieg, daß <strong>das</strong> deutsche Volk in der Weimarer Republik<br />

durch niedrigste Formen der Sexualität, durch Abtreibung oder Einschränkung<br />

der Kinderzahl moralisch fast in den »Bolschewismus« abgesunken<br />

sei und sich erst jetzt wieder zu einer positiven Mutterschaftsideologie bekenne.<br />

»Ein Volk ist soviel wert«, lesen wir hier, »als seine Frauen bereit sind,<br />

wertvolle Mütter zu werden. Darum brauchen wir erhabene Mütterthrone, vor<br />

denen die Männer in Ehrfurcht stehen. Deutschland muß wieder ein blühendes<br />

Mutter- und Kinderland sein, dann wird es ein mächtiges Vaterland werden.«<br />

Die Männer können noch so viel führen, schaffen oder verteidigen, heißt es bei<br />

Mayer, ȟber Sein und Nichtsein unseres Volkes entscheidet allein die<br />

Mutter .«61<br />

Eine solcher Szenen, wo die Männer den Frauen ihre Ehrfurcht erweisen,<br />

findet sich in der faschistischen Utopie Im Jahre 2000 im Dritten Reich (1933)<br />

von Schmid, wo auf dem Höhepunkt des Festzuges zu Ehren des zweiten Führers<br />

des Dritten Reichs, des Herrn König, plötzlich die nordisch-blonden Mütter<br />

auftreten, die ihre Säuglinge und milchgefüBten Brüste mit einem solchen<br />

Stolz vorzeigen, daß der alte Herr König ergriffen gesteht: »Ihr seid unser teuerstes<br />

Heiligtum!«62<br />

Doch als Gesamtutopie erscheint dieses Konzept lediglich bei Ernst Bergmann,<br />

dem Autor von Erkenntnisgeist und Muttergeist, der 1933 <strong>das</strong> Buch<br />

Deutschland <strong>das</strong> Bildungsland der neuen Menschheit herausbrachte, in dem er<br />

seine Forderung nach einer völkischen »Frauen- und Mutterpartei« plötzlich<br />

aufgibt und sich der NSDAP anschließt. Um Deutschland wieder rassisch höherzuführen<br />

und damit zum Führungsland der Erde zu machen, schlägt Bergmann<br />

hier drei Dinge vor: »Abriegelung, Ausmerze und Auslese.«63 Und zwar<br />

setzt er bei dieser »Eugenik« oder »Aristogenik«, die an die Stelle der bisherigen<br />

»Kakogenik« (Schlechtestenauslese) treten solle, seine Hoffnung weiterhin<br />

auf deutschbewußte, jetzt nordische Frauen, deren arische Urinstinkte es neu<br />

zu wecken gelte. Von jeder rassebewußten Frau, schreibt Bergmann hier, müsse<br />

man in Zukunft mindestens sechs Kinder erwarten. Und zwar sollten sich<br />

die Frauen ihre Partner, ob nun einen oder sechs verschiedene, selber wählen.<br />

Während der Mann, selbst der nordische, vornehmlich auf den unmittelbaren<br />

Geschlechtsgenuß aus sei und daher auch um minderwertige Frauen buhle,<br />

wähle die nordische Frau, der es weniger um den Geschlechtsgenuß als um die<br />

Mutterschaft gehe, wie Bergmann erklärt, ihre Partner nur im Hinblick auf die<br />

»hochwertigen Erbeigenschaften dieser Männer« aus.64 Er entwirft deshalb einen<br />

»Hundertjahrplan der Nationalhygiene«, der in aller Offenheit ins Altgermanisch-Matriarchalische<br />

und zugleich Ariosophische tendiert.65 Nach aB diesen<br />

wahnwitzigen Spekulationen über einen arischen Muttersozialismus folgt<br />

auf den letzten dreißig Seiten dieses Buchs plötzlich ein Blick in die Zukunft<br />

des Dritten Reiches im Jahr 1960. Deutschland ist hier wieder ein Bauern- und<br />

vor allem Kinderland geworden, in dem <strong>das</strong> »Weizenblonde« den Ton angibt.<br />

Im Zentrum der neuen Hauptstadt, die Heldenaue heißt, befindet sich eine riesige<br />

neogotische Odals kirche, in der <strong>das</strong> von allen verehrte Bild der »germani-<br />

DAS ARGUMENT 146/1984 ©

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