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das argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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Philosophie 619<br />

gerade gebrochen habe (Mehmel). Gegen beide wendet er mit Recht ein, daß Machiavellis<br />

Problematik in der Krise von F10renz verwurzelt ist, die auch den selektiven Umgang<br />

mit der griechischen und römischen Literatur bedingt (259ff.). Im Windschatten dieses<br />

Urteils unterstellt er wie Stemberger, daß es jedenfalls Aristoteles sei, mit dem selektiv<br />

umgegangen werde. Das hängt mit einer anderen Kontroverse zusammen, in die sich<br />

Münkler auch einschaltet, derjenigen zwischen Löwith und Blumenberg um die »Säkularisationsthese«.<br />

Das Fortschrittsparadigma der Aufklärung und der Marxisten könne<br />

schon deshalb nicht als Säkularisierung der christlichen Eschatologie gelten, <strong>argument</strong>iert<br />

Münkler, weil keine historische Kontinuität zwischen beiden sei, statt dessen sei <strong>das</strong><br />

neuzeitliche Fortschrittsverständnis aus der Durcharbeitung von Machiavellis anti-eschatologischer<br />

Problematik des ewigen Auf und Ab hervorgegangen (51). Und dieses Auf<br />

und Ab ist bei Polybios vorgebildet, der seinerseits in der aristotelischen <strong>Theorie</strong> der Verfassungformen<br />

entscheidende Anregungen flndet, während Platons Politeia auf diesem<br />

Gebiet nur als Vorläufer gelten kann. Münkler gibt sich viel Mühe, <strong>das</strong> Fortschrittsparadigma<br />

vorn Geruch christlichen Ursprungs zu befreien, es vielmehr als objektiv richtig zu<br />

erweisen (z.B. 312, 34lff., 373). Die angebliche Naturgrundlage des machiavellistischen<br />

Zyklus in der ambizione habe bereits Kant destruiert, indem er zeigte, daß ihr Sein bloß<br />

ein Gemachtsein sei (349); was gemacht wird, kann auch verändert werden. Hegel habe<br />

den Zyklus zur Fortschritts-Spirale umgebogen und ihm so den Charakter eines Gegen<strong>argument</strong>s<br />

genommen (373). Marx schließlich habe die Beherrschbarkeit und zunehmende<br />

Beherrschung der fortuna politökonomisch nachgewiesen (274, 331).<br />

Diese Argumente kommen mir nicht stichhaltig vor. Es ist erstaunlich, daß die aktuelle<br />

Krise von Wachstumswirtschaft und Fortschrittsoptimismus in Münklers Buch keine<br />

Spuren hinterläßt. (In seinem später geschriebenen, sehr lesenswerten Aufsatz »Marx<br />

heute« ist <strong>das</strong> ganz anders geworden, vgl. aus politik und zeitgeschichte 10/83, 25-35,<br />

bes. 29.) Gut, wir müssen die Quacksalber-Psychologie der »ambizione« zurückweisen,<br />

aber was folgt denn schon aus dem Gemachtsein unseres Seins? Etwa, daß wir leere<br />

Blätter sind, auf die man alles Mögliche schreiben kann, wie Skinner annimmt? Soll ich<br />

die Fortschrittsgarantie der bürgerlichen Aufklärer nicht metaphysisch fmden, nur weil<br />

man mir versichert, der Fortschritt werde durch Spiralbewegungen verlangsamt? Könnte<br />

nicht auch beides falsch sein, Fortschritts- wie Zyklusglauben? Und hat Marx wirklich<br />

schlechterdings die Beherrschbarkeit der fortuna gelehrt - hat er diese Lehre nicht vielmehr<br />

als bürgerliche Ideologie entlarvt und gezeigt, was ihre materielle Kehrseite ist:<br />

»fortschreitende« Zerstörung von Natur und Gesellschaft, vorangetrieben durch periodische<br />

Wirtschaftsdepressionen? Sie wird nämlich in der Form vorgetragen, daß alle<br />

Ökonomie auf dem rein außematürlichen Tauschprinzip basiere; aber die Natur spielt<br />

nicht mit ... Und Münklers Argumente versperren den Blick auf Wesentliches. Sein Interesse<br />

an der »Säkularisations«-Frage führt auch zu jener einseitigen Zuordnung Machiavellis<br />

zur aristotelischen Tradition. Der Zusammenhang zwischen Machiavellis <strong>Theorie</strong><br />

und dem Politeia-Modell Platons ist aber mindestens ebenso wichtig. Die historischen<br />

Verfassungs formen spielen in diesem nur eine marginale Rolle, da ist Aristoteies<br />

tatsächlich relevanter, aber es ist Platon gewesen, der zuerst Politik als Selbsterhaltung<br />

eines kriegführenden Gemeinwesens aufgefaßt und in allen logischen Konsequenzen (bis<br />

hin zu Euthanasie, Lebensborn und geplanten Erziehungslügen) durchdacht hat. Hier<br />

könnte die eigentliche Aktualität Machiavellis liegen. Eine andere Linie der Machiavelli­<br />

Interpretation ließe sich ziehen: von Platon, der ja auch sonst in vieler Hinsicht die<br />

Denkform der abendländischen Klassengesellschaften geprägt hat, über Machiavelli, der<br />

Platons Modell zur Entstehungszeit des frühbürgerlichen Staates modiflzierte, bis zum<br />

»Integrationsparadigma« unserer Tage, in dessen Rahmen Autoren wie Seyrnour M.<br />

Lipset die Parteiendemokratie gar nicht so grund-anders beschreiben als Machiavelli <strong>das</strong><br />

Gleichgewicht von grandi und popolo. Wobei diese Autoren freilich den Kriegskontext<br />

DAS ARGUMENT 146/1984 ©

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