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das argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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528 Joachim Radkau<br />

Oder gestatten die neu erschlossenen Fakten doch allgemeinere Deutungen?<br />

Aber es fehlt ein Rüstzeug an <strong>Theorie</strong>, <strong>das</strong> dem Stand der empirischen Forschung<br />

entspricht. Die große Zeit des Theoretisierens über »Faschismus und<br />

Kapitalismus« waren die späten 60er und frühen 70er Jahre; aber für die Geschichtsforschung<br />

gingen diese Gedankenflüge zu schnell und zu hoch. Jene<br />

scheinbar gegeneinander abgegrenzten Phänomene der <strong>Theorie</strong>-Diskussion -<br />

hie Basis, da Überbau, hie Ökonomie, da Politik - erschienen in der konkreten<br />

Geschichte weithin überlappt. Die Beziehung Kapitalismus/Faschismus<br />

wirkte in der historischen Realität viel unordentlicher als in der <strong>Theorie</strong>.<br />

Dennoch haben sich vom Forschungsstand her die Chancen für eine Begegnung<br />

zwischen historischer Empirie und politisch-ökonomischer Faschismus­<br />

<strong>Theorie</strong> erheblich verbessert. Gerade Tim Mason, der einst im Argument in<br />

vielbeachteter Weise den »Primat der Politik« gegen den »Primat der Ökonomie«<br />

- jedenfalls für die Zeit nach 1936 - verfochten hatte,5 präsentierte in<br />

den 70er Jahren besonders umfangreiches Material, <strong>das</strong> eher zu einem Primat<br />

der Ökonomie paßte.6 Das in der bundes deutschen Intelligenz verbreitete Vorurteil,<br />

historischer »Positivismus« komme am Ende doch immer konservativen<br />

Positionen zugute, wurde nicht bestätigt. Aber empirische Forschung und<br />

theoretische Reflexion operierten aneinander vorbei. Die längst fällige große<br />

Diskussion über die ökonomischen Zusammenhänge des Faschismus blieb innerhalb<br />

der Historikerschaft in einer immer gereizteren Kontroverse über die<br />

Bedeutung des »Führers« für die NS-Geschichte stecken. Unter Historikern<br />

zeichnet sich eine Art Komprorniß ab, daß zwar ein nicht unbedeutender Anteil<br />

der Industrie an der Zerstörung der Weimarer Republik zugegeben, eine<br />

wesentliche Rolle der Wirtschaft beim Sieg des Faschismus jedoch nach wie<br />

vor bestritten wird. Aber was soll man von einem solchen Auseinanderdividieren<br />

von historisch unlösbar miteinander verquickten Vorgängen halten?<br />

2. Welches Maß an Identität und Zwangsläufigkeit besitzt Faschismus?<br />

Mögliche Forschungsimpulse durch den Vergleich mit Italien<br />

Schon auf den ersten Blick zeigt der Vergleich zwischen Nationalsozialismus<br />

und italienischem Faschismus, daß man sich Faschismus keineswegs als ein unveränderliches,<br />

in einer bestimmten Phase der ökonomischen Entwicklung<br />

zwangsläufig siegendes und zwangsläufig einen bestimmten katastrophalen<br />

Verlauf nehmendes Phänomen vorstellen darf. Diese Feststellung ist fast banal<br />

- dennoch wetteifern ein Großteil der Faschismustheorie ebenso wie der empirischen<br />

Forschung miteinander in dem Bemühen, die gesamte NS-Geschichte<br />

möglichst gründlich zu determinieren. 7 Die wissenschaftliche Leistung scheint<br />

sich daran zu bemessen, wie perfekt einer nachweisen kann, daß Faschismus<br />

kommen mußte - während doch in Wahrheit der Ehrgeiz dahin gehen sollte,<br />

herauszubekommen, wie sich der Sieg des Faschismus hätte verhindern lassen<br />

und in Zukunft verhindern läßt. Es ist merkwürdig, wie exotisch diese simple<br />

Erkenntnis im üblichen Wissenschafts betrieb wirkt.<br />

Der Vergleich zwischen den deutschen und den italienischen Vorgängen wäre<br />

ein gutes Mittel, um diese deterministische Denkweise aufzubrechen: Aber<br />

vielleicht ist eben dies einer der Gründe, weswegen solche Vergleiche bis heute<br />

DAS ARGUMENT 146/1984 @

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