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das argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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I<br />

542 lost Hermand<br />

alten Welt nach ihrer religiösen und rechtlichen Natur, die der Schweizer Jurist<br />

und Mythenforscher Johann Jakob Bachofen 1861 vorlegte. Dieses Werk, <strong>das</strong><br />

für alle späteren Arbeiten über <strong>das</strong> Matriarchat grundlegend wurde, stammt<br />

zwar geistig aus der deutsch-romantischen Tradition (so hatte Bachofen unter<br />

anderem bei Karl Friedrich von Savigny, dem Begründer der älteren historischen<br />

Rechtsschule, studiert, der sich bei der Erklärung der Rechtserzeugung<br />

ebenfalls vom romantischen Konzept des schöpferischen Volksgeistes leiten<br />

ließ), weist jedoch trotz aller volkhaften Züge keine Tendenz ins Deutsch-Nationale<br />

auf. Ja, Bachofen sieht - trotz seiner tiefen Verehrung des Urzeitlich­<br />

Mütterlichen - in der christlichen Religion und dem väterlich-römischen Imperium<br />

unleugbare Fortschritte in der allgemeinen Entwicklung der Menschheit.<br />

In diesem Punkt bleibt er gläubiger Protestant, Basler Patrizier und überzeugter<br />

Humanist. Allerdings betont Bachofen immer wieder, daß der männlichen<br />

Geschichte mit all ihren Vorzügen eine ebenso bedeutsame, aber historisch<br />

überholte weibliche Vorgeschichte vorangegangen sei. Innerhalb dieses<br />

mythisch-weiblichen Zeitalters unterscheidet er im Rahmen der Mittelmeerkulturen<br />

zwischen einer Periode der allgemeinen Promiskuität, also des Hetärismus,<br />

Aphroditismus und der Sumpfzeugung, einer gynaikokratischen Periode<br />

des friedlichen Ackerbaus, die im Zeichen der Demeter, des Fortschritts zu<br />

moralischer Gesittung und schließlich zum ehelichen Mutterrecht gestanden<br />

habe, und einer Periode des Amazonischen, die bereits einen Übergang zur<br />

männlichen Welt des Kriegerischen und Staatenbildenden darstelle. Die Ursachen<br />

solcher Wandlungen liegen für Bachofen rein im Religiösen. Überhaupt<br />

interessiert ihn vornehmlich die innere und nicht die äußere Geschichte, also<br />

die Geschichte des Gefühls, des rituellen und moralischen Verhaltens. Daher<br />

stellt sein Mutterrecht zwar in seiner Verklärung des Mütterlichen einen der<br />

Höhepunkte deutsch-romantischer Träumereien dar, drängt aber zugleich auf<br />

eine Objektivierung, ja Verwissenschaftlichung dieser Träume, indem es den<br />

Prozeß der männlichen Versenkung in die weibliche Urzeit primär als einen auf<br />

<strong>das</strong> Männliche zurückwirkenden und es veredelnden Prozeß beschreibt. Und<br />

so läuft Bachofens gesamtes geschichtsphilosophisches Denken letztlich auf eine<br />

Balance von Mutterrecht und Vaterrecht, von Mütterlichem und Sohnhaftern,<br />

von weiblicher Natur und männlichem Geist hinaus.<br />

Welche Wirkung dieses Buch hatte, ist im einzelnen kaum abzusehen.l2 Daß<br />

Bachofens Mutterrecht im späten 19. Jahrhundert auch von den Linken rezipiert<br />

wurde, kann hier nur angedeutet werden. So hat vor allem Friedrich Engels<br />

in seiner Schrift Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des<br />

Staates (1884) neben den Forschungen von Lewis H. Morgan auch die Arbeiten<br />

Bachofens herangezogen und sie im Hinblick auf die menschliche Vor- und<br />

Frühgeschichte als eine »vollständige Revolution« bezeichnet. 13 Ähnlich lobend<br />

haben sich andere Linke wie August Bebei, Paul Lafargue und Heinrich<br />

Cunow über <strong>das</strong> von Bachofen entwickelte Konzept friedlicher und kommunistischer<br />

Mutterreiche geäußert, dabei allerdings wie Engels stets betont, daß<br />

nicht die Wandlungen innerhalb der Religion, sondern die Wandlungen innerhalb<br />

der materiellen Grundvoraussetzungen zu solchen Erscheinungen geführt<br />

hätten. Wohl die positivsten Bemerkungen über diese frühen Mütterreiche fin-<br />

DAS ARGUMENT 146/1984 :0

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