das argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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Die Kirchen und der deutsche Faschismus 561<br />
verletzungen der Regierung außerhalb der Kirche zu mobilisieren. Nur einmal,<br />
bei der Ermordung »unwerten Lebens«, verurteilen sie öffentlich <strong>das</strong> Verbrechen<br />
der Regierung im Namen des christlichen Tötungsverbots. Die Wirkung<br />
dieses öffentlichen Protests ist so durchschlagend, daß <strong>das</strong> Euthanasieprogramm<br />
im August 1941 offiziell gestoppt werden muß. Bei der Ermordung der<br />
Juden gibt es einen solchen öffentlichen Protest nicht. Kirchliche Hilfsorganisationen<br />
leisten in zahlreichen Einzelfällen lebensrettende Hilfe. Für die Mehrheit<br />
der Kirchenbeamten und Gläubigen aber gilt: die Unterstützung der »von<br />
Gott eingesetzten Obrigkeit« (Röm 13,1) dominiert über die christliche Fähigkeit<br />
zur Nächstenliebe und mauert sie in die Nischen des faschistischen Herrschaftssystems<br />
ein.<br />
6. Die Sicherheitsbehörden betrachten die katholische Kirche als gefährlichen<br />
Konkurrenten des Faschismus: wegen ihres internationalen Charakters,<br />
ihres zentralistischen Aufbaus, ihrer Kampferfahrungen mit antikatholischen<br />
Regierungen und ihrer interklassistischen Bindungsfähigkeit. Tatsächlich kann<br />
sich der Katholizismus im Kirchenkampf auf eine stärkere Verankerung im<br />
Volk stützen als die Bekennende Kirche: Die katholischen Jugendverbände<br />
können sich zum Teil bis 1938 behaupten, die moralische Diskreditierung der<br />
katholischen Kirche als Sittlichkeits macht (Devisen- und Sittlichkeitsprozesse)<br />
mißlingt, der Kampf gegen den katholischen Einfluß in der Schulerziehung ab<br />
1935 entwickelt sich zu einem langwierigen Stellungskrieg. Als die Nazis versuchen,<br />
im Münsterland die Kruzifixe aus den Schulzimmern zu entfernen, ent-<br />
. steht in der katholischen Bevölkerung ein militanter Widerstand, der <strong>das</strong> Ministerium<br />
zum Nachgeben zwingt. Auch dieser Widerstand ist eingelagert in eine<br />
grundsätzliche Bejahung der faschistischen Innen- und Außenpolitik.<br />
7. Der evangelische Kirchenkampf vollzieht sich hauptsächlich innerhalb des<br />
Kirchenapparats. Gestützt auf ihren Wahlerfolg, besetzen die Deutschen Christen<br />
1933 die meisten Gremien der evangelischen Kirche und schalten einen<br />
Großteil des alten Beamtenapparats aus. Gleichzeitig verstoßen sie durch die<br />
Übertragung des Arierparagraphen auf die Kirche und die Forderung nach<br />
Abschaffung des Alten Testaments gegen Schrift und Sakramente, aus denen<br />
die Kirche ihre Identität als spezifische ideologische Macht ableitet. Dieser<br />
doppelte Angriff auf den Apparat und den ideologischen Wertbestand der Kirche<br />
scheitert: Die gleichen Pastoren, die die neue Regierung politisch unterstützen,<br />
werden durch die Angriffe auf <strong>das</strong>, was ihnen heilig ist, in den Widerstand<br />
gedrängt. Die evangelische Kirche bricht in drei Organisationen auseinander:<br />
die deutsch-christlichen Kirchenbehörden, die »intakten« (d.h. nicht von der<br />
DC besetzten) Landeskirchen Bayerns, Württembergs und Hannovers, die<br />
später den konservativ-staatstreuen Flügel der Bekenntnisfront anführen, und<br />
schließlich die bruderrätliche Bekennende Kirche, die sich innerhalb der zerstörten<br />
DC-Landeskirchen als Widerstandskirche formiert.<br />
8. Der evangelische Kirchenkampf bewirkt eine Neuorientierung von Teilen<br />
des protestantischen Bürgertums. Hierin - und nicht in der Organisation eines<br />
wirksamen Volkswiderstands - liegt die spezifische Leistung der Bekennenden<br />
Kirche. Durch den Angriff auf die kirchlichen Sakramente werden die<br />
Unterstellung unter den Staat und die Unterstellung unter Gottes Wort ausein-<br />
DAS ARGUMENT 146/1984 ©