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das argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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Kunst- und Kulturwissenschaft 631<br />

schismus auf diesem Gebiet ist, beschreibt die Wirksamkeit der Architektur mit einem<br />

Zitat von Nietzsehe als »eine Art Macht-Beredsamkeit in Formen, bald überredend,<br />

selbst schmeichelnd, bald bloß befehlend (...) Die Macht, die keinen Beweis mehr nötig<br />

hat« (zit.n. 191). Den hohen Stellenwert erhielt die Baukunst allerdings erst nach 1933,<br />

als es zu einer »Umwertung« (191) innerhalb der nationalsozialistischen Kulturpolitik<br />

gekommen war, die nun statt direkter Propaganda »weiterreichende Mittel der Massenbeeinflussung«<br />

(191) anwendete. Fündig wird Hartung dazu wiederum bei Baeumler.<br />

Dieser beschrieb seine Ästhetik als »weder 'Schönheits' lehre noch 'Kunst'lehre (...),<br />

sondern schlechthin Ästhetik der Ordnung« (zit.n. 185). Hartung sieht darin die Forderung<br />

an die Kunst, »<strong>das</strong> Subjekt ... an absolute Gegebenheiten zu binden (...) Der Faschist<br />

will eine verpflichtende Gehaltsästhetik aufstellen und braucht dazu ein natürliches,<br />

jeder Geschichte und jeder Kritik entzogenes 'Sein'« (185).<br />

Für die andere wichtige Kunstrichtung des Faschismus, die Musik, wird besonders ihre<br />

Funktion der Gemeinschaftsbildung hervorgehoben. Hartung zitiert dazu wieder einen<br />

der NS-Theoretiker, Ernst Krieck. Dieser erklärte Musik zum staatspädagogischen<br />

Mittel und erkannte in ihr eine »geheimnisvolle Urgewalt des Rhythmus« und eine »mystische<br />

Gemeinschaftseinung« (zit.n. 196). Die kollektive Musikausübung, <strong>das</strong> Singen in<br />

geschlossener Gruppe, war so »die bei weitem wichtigste Musikart faschistischer 'Organisationen'«<br />

(195). Den Materialstudien von NS-Kampfliedern wird in dem Buch deshalb<br />

ein eigenes Kapitel gewidmet, in dem Hartung untersucht, mit welchen Konstruktionen<br />

in diesen Liedern ideologische Elemente vermittelt wurden. In einem der frühesten<br />

Kampflieder, dem Sturmlied (»Deutschland erwache«), wird beispielsweise durch<br />

eine Reihe von Imperativen ohne Adressaten »nicht <strong>das</strong> Volk angerufen, sondern irgend<br />

jemand, der helfen könnte, <strong>das</strong> Volk aufzuwecken, und dieser Jemand ist nirgends zu<br />

erblicken« (203). Nach 1933 verlor dieses Lied, <strong>das</strong> zuvor an erster Stelle des NSDAP­<br />

Liederbuches stand, an Bedeutung. Denn so, wie es im Kunstbereich insgesamt zu einer<br />

Umwertung kam, gab es auch innerhalb der Gattungen einen Funktionswechsel: an die<br />

Stelle der »Verheißung einer künftigen 'Gemeinschaft'« trat in den Kampfliedern »die<br />

Apologie des neuen Staatswesens und vor allem seines 'Führers'« (227f.).<br />

Als wesentliches Strukturelement faschistischer Lyrik sieht Hartung die »ideologischen<br />

Polaritätskonstruktionen« (237), zum Beispiel jung-alt, stürmend-starr, fühlendrational.<br />

Diese Aufspaltung »eines widersprüchlichen Ganzen ... zum Zweck des gewaltsamen<br />

Zugriffs« (16) gelte nicht nur für die Kampflieder, sondern allgemein für die gesamte<br />

Literatur. Sie sei »für die faschistischen Erzeugnisse überhaupt so bezeichnend,<br />

daß (sie) zu ihrer Deflnition heranzuziehen ist« (16). Dieser Strang wird bei den Literatur-Materialstudien<br />

allerdings nicht konsequent weiterverfolgt, wie überhaupt <strong>das</strong> übergreifende<br />

Erkenntnisinteresse (ideologische Effekte faschistischer Kunst) bei den Materialanalysen<br />

nicht immer sichtbar ist. Denn oft bleiben die Interpretationen zu sehr aufs<br />

Detail beschränkt und sind nicht mehr verallgemeinerbar. Dem Mangel, daß <strong>das</strong> Material<br />

nicht immer in ideologietheoretische Zusammenhänge gebracht wird, steht als Pluspunkt<br />

die Fülle dieses Materials gegenüber. Hartung führt es vor, ohne es vorher dogmatisch<br />

ausgesiebt zu haben. Der Anspruch des Vorworts vom »work in progress« (7)<br />

kann somit noch eingelöst werden.<br />

Dieter Oßwaid (Göppingen)<br />

Kunst- und Kulturwissenschaft<br />

Schivelbusch, Wolfgang: Lichtblicke. Zur Geschichte der künstlichen Helligkeit im 19.<br />

Jahrhundert. Hanser Verlag, München, Wien 1983 (229 S., zahlr. Abb., Ln., 48,- DM)<br />

Einmal mehr hat der Autor mit sicherem Gespür eine kulturhistorische Lücke entdeckt.<br />

Mag er auch nicht beanspruchen, sie bereits schon geschlossen zu haben, so hat er doch<br />

DAS ARGUMENT 146/1984 (0

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