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das argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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632 Besprechungen<br />

mit seinem neuen Buch mehr als bloße Vorarbeit geliefert: Schivelbusch hat nicht nur<br />

teilweise obskures historisches Material erschlossen, sondern auch einige, mitunter gewagte,<br />

jedoch stets anregende Hypothesen formuliert, die <strong>das</strong> dunkle Kapitel einer anthropologischen<br />

»Beleuchtungspsychologie« etwas erhellen. Denn in der Tat handelt es<br />

sich um ein Thema von anthropologischer Relevanz: Sollte auch Leben »als solches«<br />

ganz ohne Licht genetisch und evolutionär denkbar sein - für menschliches Leben gilt<br />

dies sicher nicht. Deshalb bezieht sich Schivelbusch - inspiriert durch G. Bachelardzu<br />

Recht und wiederholt auf ethnologische und anthropologische Befunde in dieser langen<br />

Geschichte der Erhellung des Dunkels, die ihm - orientiert an Freud und N. Elias<br />

- als Metapher des zivilisationsgeschichtlichen Triebschicksals dient. Darum wird pyrotechnischen<br />

Innovationen auch geradezu die Bedeutung humanspezifIscher Fortschrittssprünge<br />

zugesprochen: »Der Docht bedeutete in der Entwicklungsgeschichte der künstlichen<br />

Beleuchtung eine ähnliche Revolution wie <strong>das</strong> Rad in der Geschichte der Transporttechnik«<br />

(14). Eigentliches Thema ist jedoch der doppelte Übergang von der Kerze<br />

zum Gaslicht und vom Gas zur Elektrizität. Hier kann Schivelbusch sinnfällig zeigen,<br />

daß die traditionellen Beleuchtungstechniken vor allem den Herausforderungen der industriellen<br />

Revolution (Fabrikhallen!) nicht genügen konnten. Der extensiven zeitlichen<br />

Ausdehnung des Arbeitstages entsprach auch eine Extensivierung der Beleuchtung, die<br />

bald an die Grenzen des Mediums Kerze/Öl stieß. »Die modeme Gasbeleuchtung entstand<br />

als Industriebeleuchtung« (24). »Um 1800 waren die Grundlagen für die künftige<br />

Gasbeleuchtung fertig ausgebildet« (31). Die mit diesem Prozeß sich vollziehende Aufhebung<br />

der energetischen Selbstversorgung in der Hauswirtschaft sieht der Autor »im<br />

größeren Zusammenhang der Auflösung des 'ganzen Hauses' (Riehl/Brunner)« (34),<br />

<strong>das</strong> heißt, mit der kapitalismusgenerierten Entfaltung von Arbeitsteilung und Marktverhältnissen.<br />

Bei der detaillierten Analyse der Entwicklungsstufen der Gasbeleuchtung<br />

kann Schivelbusch Innovationsstrukturen kenntlich machen, die analog für viele andere<br />

Prozesse auch gelten. So bekräftigt sein Material die These des amerikanischen Wirtschaftshistorikers<br />

N. Rosenberg, »daß sogenannte 'alte', schon überwunden geglaubte<br />

Technologien noch einmal so weit verbessert werden könnten, daß sie eine Zeitlang zu<br />

ernsten Rivalen für die 'neuen' Technologien würden« (53). Freilich wird hierdurch der<br />

Modernisierungsschub oftmals nur beschleunigt. Einer solchen Modernisierung 'alter'<br />

Technik korrespondiert andersherum jedoch auch die partielle »Regression« 'moderner'<br />

Technik hinter' alte' , wie Schivelbusch am Bogenlicht zeigen kann. Entsprechend wurde<br />

dem Gaslicht angelastet, worin einige Jahrzehnte zuvor seine Überlegenheit gegenüber<br />

dem Kerzenlicht bestanden haben sollte. »Dasselbe Gaslicht, <strong>das</strong> zu Beginn des 19. Jahrhunderts<br />

als Inkarnation von Sauberkeit und Reinheit gefeiert worden war, erschien<br />

siebzig Jahre später als etwas Schmutzig-Unhygienisches, <strong>das</strong> die schönste Dekoration<br />

unerbittlich zerstörte« (55). Eine technikgeschichtliche Ironie bestand dabei darin, daß<br />

Edisons Kohlenfadenglühlampe eigentlich nur eine exakte Imitation der avanciertesten<br />

Gaslichttechnologie darstellte. Vielleicht zuviel Gewicht legt der Autor anläßlich der<br />

Zentralisierung der Energieversorgung auf die Analogie zwischen der »Transformation<br />

des liberalen Konkurrenz- in den korporativen Monopolkapitalismus« (76f.) und der<br />

Zersetzung der autarkie-wirtschaftlichen Einheit des »ganzen Hauses«. Der Übergang<br />

von der »oeconomia domestica« zur arbeitsteiligen Privatwirtschaft ist schließlich typologisch<br />

wie historisch etwas ganz anderes als der Transfer von der individualistischen in<br />

die monopolistische Phase des Kapitalismus.<br />

Ein instruktives Kapitel ist der Entwicklung der städtischen Beleuchtung gewidmet.<br />

Hier gelingt es Schivelbusch allerdings, die staatlich-absolutistische Lichtzentralisierung<br />

mit der korrespondierenden Gewaltmonopolisierung zu vergleichen (97). Daß die Laternen<br />

somit zu Symbolträgem der verhaßten feudal-absolutistischen Zentralgewalt werden<br />

konnten, wird durch die notorischen volkstümlichen Übergriffe in Revolutionszeiten<br />

DAS ARGUMENT 146/1984 :g

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