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das argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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Kunst- und Kulturwissenschajt 633<br />

auch ikonographisch gut belegt. Ein neueres Kapitel in der vielfältigen Geschichte des<br />

Beleuchtungswesens ist durch die Umwandlung der Straßenlaterne vom Positionslicht<br />

zum ausstrahlenden Leuchtkörper (113) gekennzeichnet. In diesem Prozeß wird <strong>das</strong><br />

Gaslicht vom Schicksal so mancher Innovation ereilt: Erschien es zu Beginn des Jahrhunderts<br />

gegenüber den blakenden Öllampen noch rein und strahlend, so mutet es gegenüber<br />

dem elektrischen Licht nach der Jahrhundertmitte bereits nurmehr »roth und<br />

rußig« (113) an. Den humanitären Fortschrittsfreunden des Bürgertums war die zunehmende<br />

Erhellung des urbanen Milieus dabei der Garant sozialer Hygiene: als Beseitigung<br />

der Schlagschatten von Verbrechen und Prostitution, ebenjenes »darkest England«<br />

(Booth), dessen Beseitigung sich die Heilsarmee angelegen sein ließ.<br />

Einige Exkurse und kulturhistorische Kabinettstücke behandeln, mitunter etwas zu<br />

gerafft, Einzelaspekte und wichtige Etappen im wahmehmungspsychologischen Strukturwandel<br />

des Alltagslebens: von der Verschiebung der Vergnügungen in den (späten)<br />

Abend (»Nachtleben«) über die Öffnung des Ladens zur Straße durch <strong>das</strong> Schaufenster<br />

bis zur (langsamen) Eroberung auch des Wohnbereichs (Salon, »gute Stube«) durch <strong>das</strong><br />

als unpersönlich empfundene Gaslicht. Dessen »Milderung« durch Lampenschirme<br />

setzt der Verfasser in eine sinnfällige Beziehung zum Fensterdekor, ja zum Musselin-fieber<br />

in der zeitgenössischen Damenmode. Den noch stärker zum Vergleich mit kunstgeschichtlichen<br />

Entwicklungen in der Malerei anregenden Band beschließt ein weiteres<br />

Schaubild: die illusionistische Erhellung der Bühne und entsprechende Verdunkelung<br />

des Zuschauerraums. Hier freilich treten den künstlerischen Autonomiebestrebungen,<br />

die konzentrierteste Aufmerksamkeit verlangen, die sozialen Obligationen gesellschaftlicher<br />

Repräsentation (»Sehen und gesehen werden«) nachhaltig und hemmend in den<br />

Weg. Dennoch verdrängte der neue Hang zu »natürlicherer«, atmosphärischer Lichtgebung<br />

zumindest unwiderruflich die alte, gleichsam »barocke«, illusionistische Bühnenmalerei.<br />

Legitimerweise gibt Schivelhusch noch einen Ausblick auf jene »Lichtspiele«<br />

(Panorama, Diorama und laterna magica), die seit Ende des 18. Jahrhunderts bis zu unserer<br />

heutigen cineastischen Imaginationsindustrie immer plastischer in Szene gesetzt<br />

wurden.<br />

Vielleicht hätte der Verfasser in seinen historischen Abschnitten die Rolle der Newtonschen<br />

Mechanik, deren optischer Teil die poetischen Inspirationen im 18. Jahrhundert<br />

so eindrucksvoll angeregt hat, deutlicher machen können, zumal einer jener »Newtoncinos«,<br />

Algarotti, von Schivelbusch als Kronzeuge für die neue Theaterbeleuchtung herangezogen<br />

wird. Ebenso hätte der freilich selbst vom archäologischen Blick Benjamins<br />

übersehene sozialistische Mystiker Alphonse Esquiros, der verlangt hat, »daß <strong>das</strong> Gaslicht<br />

gleich dem Lichte der Sonne für Aller Augen leuchte«, es verdient, mit seinen enzyklopädischen<br />

Tableaus der Hauptstadt des 19. Jahrhunderts über bloße lyrische Stimmungsbilder<br />

(107) hinaus gewürdigt zu werden, zumal er auch über eine für Schivelbuch<br />

einschlägige »Philosophie der Eisenbahnen« spekuliert hat. Und schließlich wäre in einem<br />

Buch dieses Themas Faradays genial-einfache »Naturgeschichte einer Kerze« eine<br />

Erinnerung wert. Aber <strong>das</strong> sind eher Addenda für eine durchaus noch Entdeckungen<br />

versprechende Weiterarbeit auf einem fruchtbaren Forschungsfeld, der Schivelbusch<br />

durch seine hier vorgelegten hervorragenden Kapitel zu einer historischen Wahrnehmungspsychologie<br />

vielfältige Anregungen vermittelt hat.<br />

Martin Blankenburg (Berlin/West)<br />

Hübner, Irene: KultureUe Opposition. Damnitz Verlag, München 1983<br />

(266 S., br., 19,80 DM)<br />

Das Buch enthält zehn Kapitel zur Entwicklung, Lage und Perspektive kultureller Opposition<br />

als Bewegungsform demokratischer Kultur in der Bundesrepublik. Es stellt eine<br />

rezeptionsfreundliche Mischform aus Analyse, Erfahrungsbericht und Informationsre-<br />

DAS ARGUMENT 146/1984 ©

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