das argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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Die Zweideutigkeit des Kapitals gegenüber dem Faschismus 535<br />
pitalismus gehört hatte.35 Aus der gleichen historischen Ambivalenz heraus<br />
war auch immer wieder rasch eine Distanz der Industrie zum Faschismus möglich.<br />
Man sollte also diese Phänomene nicht zu sehr einer bestimmten Phase des<br />
Kapitalismus zuordnen (und sich daher auch nicht auf historistische Manier<br />
mit der Meinung beruhigen, eine Allianz Industrie/Faschismus sei mittlerweile<br />
durch die ökonomische Entwicklung überholt worden). Ein schwankendes<br />
Verhältnis zur Gewalt liegt in der kapitalistischen Wirtschaftsweise selbst begründet:<br />
Anders als etwa die feudale Mehrwertabschöpfung funkioniert sie als<br />
solche ohne brachiale Gewalt, führt dadurch aber immer wieder zu Situationen<br />
des Bedrohtseins, die nach einem gewalttätigen deus ex machina verlangen. -<br />
Der Kapitalismus begünstigt als solcher die Offenheit und Liberalität in mehrfacher<br />
Hinsicht: die freie Zirkulation von Waren, Arbeitskräften, Informationen.<br />
Da diese Offenheit jedoch immer wieder Gefahren heraufbeschwört, war<br />
der Kapitalismus nicht erst im 20. Jahrhundert mit Bewegungen verschwistert,<br />
die den bedrohlichen Perspektiven solcher Offenheit den Kampf ansagten: mit<br />
diversen Spielarten von Puritanismus und Protektionismus, mit Nationalismen<br />
und anderen fremdenfeindlichen Strömungen. Hier findet der Faschismus<br />
einen ausgedehnten historischen Zusammenhang.<br />
Damit soll nicht jener Überdehnung des »Faschismus«-Begriffes <strong>das</strong> Wort<br />
geredet werden, die zeitweise Mode war und manchmal »faschistisch« schon<br />
fast zu einem Synonym von »beschissen« geraten ließ: Von »Faschismus« läßt<br />
sich sinnvollerweise nur dort reden, wo ein totalitärer Anspruch, eine Legitimation<br />
brachialer Gewalt, ein militanter Nationalismus und ein massenwirksamer<br />
Aktionsstil gegeben ist. Aber die Faschismus-<strong>Theorie</strong> sollte, um nicht eine<br />
isolierte Dämonologie zu werden, mehr an andere <strong>Theorie</strong>ansätze angebunden<br />
und dafür vielleicht weniger in sich selbst perfektioniert werden. Als besonders<br />
vielversprechend erscheinen dabei jene Ansätze, die die Geschichte des Agrarkapitalismus<br />
aufzuarbeiten suchen.36 Gerade hier ist der Vergleich zwischen<br />
Italien und Deutschland vielleicht noch anregender als auf anderen Ebenen.<br />
4. Agrarkapitaüsmus und Faschismus<br />
Der italienische Faschismus fungierte in den entscheidenden Jahren des Kampfes<br />
um die Macht - in der Zeit von 1920 bis 1922 - vor allem als ein Werkzeug<br />
der Grundherren: Durch deren Unterstützung wurde er vom bizarren Außenseiter<br />
zur beherrschenden Macht. Vor allem auf dem Lande und in den<br />
Kleinstädten entwickelte sich der faschistische Terror, der Stil der »Strafexpeditionen«.<br />
Selbst die marxistische Faschismusdeutung stand zeitweise ganz unter<br />
diesem Eindruck. Noch kurz nach dem Marsch auf Rom urteilte die Kommunistische<br />
Internationale: »Die Faschisten sind vor allem eine Waffe in den<br />
Händen der Großagrarier . Die Industrie- und Handelsbourgeoisie verfolgt<br />
angstvoll <strong>das</strong> Experiment einer gewaltsamen Reaktion, <strong>das</strong> sie als 'schwarzen<br />
Bolschewismus' betrachtet.«37 Bis in die 60er Jahre konzentrierte sich die Literatur,<br />
die sich mit ökonomischen Hintergründen des italienischen Faschismus<br />
befaßte, vorwiegend auf die Agrarier.38<br />
Das Phänomen Faschismus insgesamt wurde durch <strong>das</strong> Gewicht der Agra-<br />
DAS ARGUMENT 146/1984 ©