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das argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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539<br />

J ost Hermand<br />

Alle Macht den Frauen<br />

Faschistische Matriarchatskonzepte<br />

Als ich vor drei Jahren all jene 120 westdeutschen Romane zwischen 1945 und<br />

1955 las, die auf utopische oder dystopische Weise fiktionale Bilder der Zukunft<br />

zu entwerfen suchen, war ich entsetzt über die ideologische Verblasenheit,<br />

die in den meisten dieser Werke herrscht. Einerseits dominieren hier offen<br />

regressive Vorstellungen einer Rückkehr zu Gott, eremitenhaften Einsamkeit<br />

oder höhlenhaften Verborgenheit, andererseits alptraumhafte Visionen eines<br />

Dritten, Vierten oder Fünften Weltkriegs, wenn nicht gar ungeheurer, alles Leben<br />

auf Erden vernichtender Atomkatastrophen. 1 Der einzige Roman unter all<br />

diesen 120, der etwas hoffnungsfreudiger, milieuhaft realistischer und zugleich<br />

politisch wesentlich konkreter wirkt, trägt den für <strong>das</strong> Jahr 1950 erstaunlichen<br />

Titel Alle Macht den Frauen. In ihm scheint sich tatsächlich eine neue Hoffnung,<br />

ein neuer Friedenswille, ein neues Verhältnis zur »Wirklichkeit« anzubahnen.<br />

Und zwar spielt dieser Roman weitgehend in Berlin, <strong>das</strong> noch immer die<br />

Hauptstadt des ungespaltenen Deutschland ist. Da im Zweiten Weltkrieg so<br />

viele Männer gefallen sind, sind die Frauen zwangsläufig »in der Überzahl«2,<br />

bilden eine Frauenpartei und kommen schließlich - unter der Führung von<br />

Helen Warbeck - auf legalem, parlamentarischem Weg an die Macht. Daß sie<br />

sich hierbei bewähren, wird auf ihren »Realismus« zurückgeführt, der sich<br />

wohltuend vom »Romantizismus« der in überspannten Ideen- und Ideologiegespinsten<br />

befangenen Männer abhebe.3 Für Christentum, Nationalsozialismus<br />

oder Marxismus, die als männliche Ideologien die eigentliche Wirklichkeit<br />

des Menschen verfehlt hätten, hat daher der Autor des Ganzen nicht viel übrig.<br />

Um so mehr preist er in diesem Roman <strong>das</strong> Wissen um jenes »Leben«, wie<br />

man es nur bei erfahrenen Frauen finde. Als die idealste Form des menschlichen<br />

Zusammenlebens erscheint ihm die ältere Großfamilie, wo sich die Fülle<br />

der» Lebenserfahrungen«, wie es heißt, in der Instinktsicherheit der wissenden<br />

Frauen, der Dominafiguren und Seelenführerinnen, manifestiere.4<br />

Radikale Feministinnen, die einen Bolschewismus mit »weiblichem Vorzeichen«<br />

vertreten, werden deshalb in diesem Frauendeutschland nicht geduldet.5<br />

Überhaupt scheint hier alles radikal Böse - trotz der mehrfach wiederholten<br />

Totalitarismusthese - weniger vom Faschismus als vom Kommunismus herzurühren.<br />

Und so landet der Verfasser dieses Romans letztlich bei recht konventionellen<br />

Ehe- und Familienkonzepten sowie einer biologisierten Sicht politischer<br />

Probleme, die deutlich in die dreißiger Jahre zurückweisen. Vor allem<br />

seine These, daß der Weisheit letzter Schluß für alle Frauen in der Erzeugung<br />

vieler Kinder bestehe, stimmt höchst verdächtig.<br />

Doch <strong>das</strong> ist bei dem Autor dieser Utopie, der Paul Fechter heißt, nicht weiter<br />

verwunderlich. Schließlich stammt dieser Mann ideologisch aus dem breiten<br />

Strom der lebens philosophischen und neokonservativen Bewegung der<br />

DAS ARGUMENT 146/1984 es

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