das argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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Ausstieg, Umgestaltung oder Umwälzung? 581<br />
Übergang in ein anderes System der Organisation von Arbeit und Leben auf<br />
Freiwilligkeit, auf subjektiver Einsicht und individueller Initiative beruht,<br />
funktioniert er nach der Logik der sogenannten »Chancengleichheit«. Das<br />
heißt, die ohnehin auf Führungsfunktionen hin sozialisierten und mit überdurchschnittlichen<br />
Qualifikationen ausgestatteten Teile der Bevölkerung werden<br />
diese formal »gleiche« Chance bevorzugt wahrnehmen können - und alle<br />
diejenigen, die in ihrem Leben konkreten gesellschaftlichen Machtverhältnissen<br />
unterworfen sind - ob der ökonomischen Macht eines einzelnen Kapitals,<br />
der ideologischen Macht des patriarchalischen Geschlechterverhältnisses oder<br />
auch der politischen Macht des Nationalstaates, der sie als Ausländer bzw. als<br />
Asylanten diskriminiert -, werden diese Chance eben faktisch nicht wahrnehmen<br />
können. Damit sich gerade für diese sozialen Kategorien etwas ändert,<br />
wäre dagegen der Einsatz von politischer Gegenrnacht erforderlich, die in der<br />
Lage ist, auch dort Veränderungen zu erzwingen, wo subjektive Einsicht und<br />
individuelle Initiative dazu nicht ausreichen - gerade so wie jenes berühmte<br />
»Staatsgesetz«, <strong>das</strong> nach Marx' Analyse erst die Arbeiter daran hindert,<br />
»durch freiwilligen Kontrakt mit dem Kapital sich und ihr Geschlecht in Tod<br />
und Sklaverei zu verkaufen« (MEW 23, 320). Darüber hinaus bewirkt diese<br />
Ausstiegs-Ideologie auch noch - indem sie mit großer Geste <strong>das</strong> bestehende<br />
Sysetm »radikal« abschreibt - eine indirekte, aber hinreichend handgerechte<br />
Rechtfertigung der in den ideologischen Staatsapparaten insgesamt bestehenden<br />
Vorrangstellung der >meuen Mittelschichten« , die heute - so wie einst die<br />
»radikalen« Juristen und Freiberufler (vgl. Portis 1983) - zum entscheidenden<br />
personellen Träger des bestehenden Herrschaftssystems geworden sind.<br />
Wenn sich dieses System nicht verändern, sondern nur verlassen läßt, dann<br />
muß es in ihm eben weiter zugehen wie bisher - und jeder Gedanke daran,<br />
durch Einsatz entsprechender Gegenrnacht gerade innerhalb dieses Systems<br />
anderen Praxen der Politik Raum freizusprengen, kann von Vertretern des<br />
Ausstiegsgedankens nicht minder weit von sich gewiesen werden als von den<br />
unmittelbaren politischen Rep'räsentanten des Systems.<br />
Dieses Problem hat offenbar Reinhard Pfriem gesehen, indem er die Problematik<br />
eines politisch zu bewerkstelligenden »Einstiegs in den Ausstieg«<br />
(Pfriem 1983) entfaltet hat. Nur ändert <strong>das</strong> meines Erachtens am Kern der Sache<br />
nichts: Solange der für die Ausstiegsideologie konstitutive Gedanke einer<br />
Absage an jede Veränderung der Gesellschaft, die nicht von einer Selbstveränderung<br />
»der Menschen« ausgeht, sondern über die Entfaltung und den Einsatz<br />
politischer Macht erreicht wird, beibehalten wird, kann eine Politik des »Einstiegs<br />
in den Ausstieg« allenfalls die Schärfe der von einer ernsthaft betriebenen<br />
Politik des »Ausstiegs« ausgehenden sozialen Diskriminierung mildern,<br />
ohne an der Tatsache dieser Fortschreibung der bestehenden gesellschaftlichen<br />
Machtverhältnisse etwas ändern zu können.<br />
Aber die Ausstiegs-Ideologie vollbringt auch noch eine wichtige Leistung für<br />
die grüne Tagespolitik: Der Widerspruch, der in der Haltung der meisten Grünen-Wähler<br />
zwischen der Befürwortung einer Koalition mit der SPD und der<br />
Ablehnung irgendwe1cher wichtigen Konzessionen an die SPD besteht, läßt<br />
sich auch nach der Richtung explizieren, daß diese Wähler noch nicht ahnen,<br />
DAS ARGUMENT 146/1984