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das argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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Alle Macht den Frauen 541<br />

eignete sich <strong>das</strong> Konzept des Matriarchats, <strong>das</strong> weitgehend aus der älteren, romantischen<br />

Mythenforschung hervorgegangen war, besonders gut, jede aufklärerische<br />

Hoffnung im Sinne eines möglichen Fortschritts in der Geschichte<br />

radikal in Frage zu stellen und an die Stelle progressiver Ideenkomplexe den<br />

Glauben an den ewig-einen Status quo zu setzen. Während Marx, der Hauptvertreter<br />

aller weltgeschichtlichen Fortschrittskonzepte, immer wieder erklärte,<br />

daß die »Gesellschaftsgeschichte des Menschen die wahre Naturgeschichte des<br />

Menschen« sei, daß also der Mensch im Laufe des von ihm in Gang gesetzten<br />

sozial-politischen Wandels auch seine eigene Natur ständig umgeschaffen habe,<br />

gab es für die Nazis, wie für alle konsequenten »Strukturalisten«, nur <strong>das</strong><br />

Ewige, <strong>das</strong> Immergleiche, die seit Urzeiten unveränderte Naturbeschaffenheit<br />

des Menschen, der mythische Grundstrukturen wie Geschlecht, Rasse und nationale<br />

Eigenart zugrunde liegen.<br />

Aus diesem Grunde war den Nazis alles recht, was auf den mythischen Urgrund<br />

der Geschichte, also auf <strong>das</strong> Blut, die Rasse oder den mütterlichen Urschoß<br />

zurückführte und damit an die Stelle linearer Geschichtskonzepte zyklische<br />

Geschichtskonzepte setzte. Wie auf vielen Gebieten griffen sie hierbei<br />

gern auf die Nostalgie für alles Urzeitliche, die nationale Identitätssuche und<br />

den geradezu mythischen Volksbegriff der älteren Romantik zurück, die -<br />

aufgrund ihrer Abneigung gegen den Rationalismus der Aufklärung - nach<br />

1800 eine unverhohlene Sehnsucht nach dem Mittelalter, der germanischen<br />

Vorzeit, ja dem Mythisch-Mütterlichen entwickelt hatte. Bei dieser Suche nach<br />

dem religiösen Urgrund alles menschlichen Tuns war bereits die Romantik bis<br />

zum Ahnenglauben, bis zu Fruchtbarkeitsmythen, ja bis zu den chthonischen<br />

Elementen bei den sogenannten Urvölkern vorgestoßen. So hat sie etwa - im<br />

Gegensatz zu Winckelmann - immer wieder den mythisch-religiösen Charakter<br />

der antiken Kunst betont und <strong>das</strong> Interesse am Mythos stets über <strong>das</strong> Interesse<br />

an der Ästhetik gesetzt. 11 Dafür sprechen vor allem die Schriften von J 0-<br />

sef Görres, Friedrich Creuzer, Friedrich Wilhelm Schelling, Wilhelm Grimm<br />

und K.O. Müller, in denen bei der Suche nach dem religiösen Mittelpunkt aller<br />

älteren Kulturen immer wieder auf den innigen Zusammenhang von Dichten<br />

und Glauben, ja auf die tiefe Verwurzelung dieser Kulturen im Urgrund des<br />

Heilig-Mythischen hingewiesen wird. Vor allem bei Görres wird hierbei der<br />

frühromantische Subjektivismus zusehends zugunsten eines anonymen Volksgeistes<br />

verworfen, der etwas rein Anonymes, Mythisches hat. Volk ist bei Görres<br />

nicht mehr ein Produkt der Natur, also natura naturata, sondern selber<br />

Natur, selber Quelle, selber mütterlicher Schoß, also natura naturans und somit<br />

etwas Weibliches. Und damit war einer Nationalisierung des mütterlichen<br />

Urschoßes und zugleich einer Vermütterlichung des nationalen Konzepts<br />

zwangsläufig Tür und Tor geöffnet.<br />

Bevor sich jedoch diese Gleichsetzung von Weiblichem und Volkshaftem<br />

mit all ihren regressiven Tendenzen ins Völkische und Präfaschistische wirklich<br />

durchsetzen konnte, <strong>das</strong> heißt im Zuge der Neuromantik um 1900, schob sich<br />

auf diesem Gebiet erst einmal ein anderes Konzept des Matriarchats in den<br />

Vordergrund, auf <strong>das</strong> kurz eingegangen werden muß. Ich meine die grundlegende<br />

Studie Das Mutterrecht. Eine Untersuchung über die Gynaikokratie der<br />

DAS ARGUMENT 146/1984 ©

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