das argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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644 Besprechungen<br />
rer Gesellschaft. Mit der auch für <strong>das</strong> <strong>Institut</strong> typischen Kombination <strong>kritische</strong>r Soziologie<br />
und sozialwissenschaftlich-empirischen Erhebungsmethoden sucht er beizutragen zu<br />
dem Aufklärungsprozeß, der 38 Jahre nach dem Ende des faschistischen Massenmordes<br />
an den Juden notwendiger ist denn je.<br />
Die Untersuchung Silbermanns unterscheidet methodisch zwischen zwei Präsenzformen<br />
des antisemitischen Vorurteils, dem latenten Antisemitismus und dem manifesten<br />
Antisemitismus, die in zwei getrennten Erhebungsschritten eruiert wurden. Der latente<br />
Antisemitismus wurde bei denjenigen erhoben, die faktisch oder potentiell seine Träger<br />
sind. In einer persönlichen Befragung wurde eine für die soziologische Struktur der Bundesrepublik<br />
repräsentative Stichprobe von 2084 Personen mit 38 Fragen und Statements<br />
konfrontiert, die sowohl klassische historische Vorurteilsentwürfe enthalten als auch<br />
Kombinationen derselben mit aktuellen gesellschaftlichen Vorgängen. Für die Untersuchung<br />
des manifesten Antisemitismus befragte Silbermann nicht die Gruppe seiner Träger,<br />
sondern Betroffene. In Tiefeninterviews und einer schriftlichen Befragung konnten<br />
462 Juden (von insgesamt 1183 aufgeforderten) dazu bewogen werden, ihre Erfahrungen<br />
mit judenfeindlichen Vorfällen dazulegen.<br />
Die Anlage der beiden Erhebungen reflektiert die zwei zu unterscheidenden Konzeptionen<br />
des Vorurteilsbegriffs, die der Untersuchung zugrundeliegen. Unter manifestem<br />
Antisemitismus faßt Silbermann diejenigen Präsenzformen des Vorurteils, die den Juden<br />
und uns als Beobachtern in Gestalt von Bombenanschlägen, Hetze und sichtbaren<br />
Diffamierungen gegen jüdische Persönlichkeiten und Einrichtungen aus der rechten<br />
Szene unserer Gesellschaft nahezu alltäglich begegnen - in letzter Zeit wieder verstärkt,<br />
was die Untersuchung nicht zuletzt motiviert hat. Dieser manifeste Antisemitismus kann<br />
durchaus aus der ersten Präsenzform, dem latenten, entstehen. Er hat zumindest eine<br />
seiner Ursachen in denjenigen Vorurteilsstrukturen, die tradiert, sozialisiert, gelernt sind<br />
und nach wie vor von großen Teilen der bundesdeutschen Bevölkerung getragen werden<br />
- auch wenn hier nur noch knapp dreißigtausend Juden leben, die gemeinhin außerhalb<br />
der einschlägigen Gedenktage in der veröffentlichten Meinung kaum wahrgenommen<br />
werden. Wichtig in diesem Zusammenhang ist die immer wieder betonte Feststellung,<br />
daß <strong>das</strong> Objekt der latenten Form des sozialen Vorurteils nicht unbedingt die jüdische<br />
Minorität sein muß, sondern daß diese unter gegebenen Umständen durchaus austauschbar<br />
ist gegen andere die »Bundesrepublik bevölkernde minoritäre Gruppen« (z.B.<br />
75).<br />
Das Ergebnis in bezug auf die Verbreitung der latenten Form des Antisemitismus ist<br />
frappant. Die Studie weist nach, »daß in der Bundesrepublik Deutschland ein Bevölkerungsanteil<br />
von etwa zwanzig Prozent mit ausgeprägt antisemitischen Vorurteilen lebt<br />
und daß bei weiteren dreißig Prozent Antisemitismus in Latenz mehr oder weniger stark<br />
vorhanden ist« (73). Damit bestätigen sich die Befürchtungen, die allemal bei spektakulären<br />
judenfeindlichen Aktionen der organisierten Rechten laut werden, in einem Ausmaß,<br />
wie ich es nicht für möglich gehalten hätte. Was sicher nicht zuletzt wegen des brisanten<br />
Themas besonders wichtig ist: Anlage und Durchführung der Studie sind ausführlich<br />
dargelegt, und die Untersuchungsinstrumente, die verwendeten Fragebögen,<br />
sind vollständig dokumentiert. Desweiteren enthält die Studie eine eindrucksvolle<br />
Sammlung von Ereignissen, die für den manifesten Antisemitismus stehen.<br />
Daß sich sozialwissenschaftliche Akribie und <strong>kritische</strong>s Engagement nicht ausschließen<br />
müssen, beweist der Schlußteil des Buches. Hier schlägt Silbermann den Bogen zu<br />
den Ursachen und Bedingungen des antisemitischen Vorurteils und entwickelt auf der<br />
Folie der festgestellten sozialen DefIzite acht Vorschläge, wie ihm auf den verschiedensten<br />
Ebenen von Gesellschaftlichkeit mit Strategien der Aufklärung zu begegnen sei: in<br />
der Familie, in der Ausbildung, in der Öffentlichkeit, in der Art und Weise, wie bei uns<br />
der Faschismus verarbeitet wird, etc. Er macht dabei in seinen Forderungen nicht halt<br />
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