das argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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626 Besprechungen<br />
Sprecher regeln. Am Beispiel der diskursiven Rolle des Ballonsymbols im 19. Jahrhundert<br />
demonstriert Link, wie ein Kollektivsymbol in verschiedenen Bereichen gesellschaftlicher<br />
Praxis benutzt werden kann, an welche bereits vorhandenen Bildfelder es anschließt<br />
und wie es durch Opposition zu diesen, zum Beispiel der Eisenbahn, neue Perspektiven<br />
erschließt. Gerade die große Allgemeingültigkeit des Kollektivsymbols führt<br />
jedoch dazu, daß es von den verschiedensten politischen Richtungen zu gebrauchen ist,<br />
daß Unterschiede »nicht in der Struktur, nur in der Wertung« (61) erscheinen. Deutlich<br />
orientiert am »fröhlichen Positivismus« Foucaults kann Link so <strong>das</strong> Ballonsymbol in<br />
den verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen nachverfolgen, selbst »Disparitäten,<br />
Grenzen der Struktur« (62) vermag er freizulegen, so zum Beispiel die Verknüpfung dieses<br />
Symbols mit Wahnsinn und romantischem Abenteuer bei Jules Verne oder mit sexueller<br />
Thematik bei Gutzkow. Gerade an diesen für die literarische Analyse interessanten<br />
Stellen aber ist der auch von Link postulierte »Rätselcharakter der Dichtung und ihres<br />
Themas« (176) für ihn nicht mehr erklärbar: die entsprechenden Stellen führen »notwendigerweise<br />
zu ungewollten konnotativen Nebeneffekten von surrealistischem Typ<br />
avant la lettre«, scheinen gar stellenweise »Robert Walser oder Kafka vorwegzunehmen«<br />
(63) - ein deutlicher (und hilfloser) Hinweis darauf, daß mit einer solchen generativen<br />
<strong>Theorie</strong> der Sinnbildung allein »<strong>das</strong> Desiderat einer funktional, nicht abbildtheoretisch<br />
fundierten materialistischen Literaturanalyse« gerade nicht »im wesentlichen erfüllt«<br />
(22) sein kann! - Daß Links Ansatz um so weniger greift, je mehr er ins Innere literarischer<br />
<strong>Theorie</strong>bildung und erst recht literarischer Texte vorstößt, zeigt sich in dem<br />
Aufsatz »Die mythische Konvergenz Goethe - Schiller als diskurskonstitutives Prinzip<br />
deutscher Literaturgeschichtsschreibung im 19. Jahrhundert« (73), in dem er die Wertung<br />
und Abgrenzung der beiden »Klassiker« bei Gervinus, Hettner, Hinrichs, Korff<br />
und Scherer rekonstruiert und in dem sich der Mythos des Ausgleichs der Extreme durch<br />
Vermittlerfiguren (vgl. Uvi-Strauss) als Konstruktionsprinzip dieser Literaturgeschichten<br />
erweist. Eine solche Analyse bleibt so lange ein Puzzle von Begriffen, wie die ihnen<br />
zugrundeliegende Tendenz zur »Totalisierung« von Widersprüchen (84) nicht konkret<br />
historisch und ideologiegeschichtlich analysiert ist. Andernfalls lebt <strong>das</strong> »Dioskurenpaar«<br />
- nun nicht mehr im geistesgeschichtlichen, sondern im strukturalistischen Gewande<br />
- weiter ungestört seine idealistische Existenz.<br />
Kein Zweifel, daß Links Beobachtungen am »Universum der semantischen Alchimie«<br />
(10) oft überraschend, originell und perspektivenreich sind, und sie widerlegen in Gestus<br />
und Sprache auch <strong>das</strong> - vielleicht etwas zu sehr zum Feindbild aufgebaute - Vorurteil,<br />
daß der generative Ansatz etwas »Kahl- und Kalt-Rationalistisches, Technokratisches<br />
und Lustfeindliches ist« (137). Die zahlreichen Einzelbeobachtungen drohen aber -<br />
trotz der Versuche, Begriffs- und Personenkonstellationen in Matrices zusammenzufassen<br />
- auseinanderzufallen, da alle inhaltlichen Synthetisierungsversuche dem Verdikt<br />
des »metaphysizierenden Irrationalismus und der Hermeneutik« (158) unterliegen. Gerade<br />
damit aber überläßt Link <strong>das</strong> »ästhetische Surplus« (169) erst recht den von ihm so<br />
verachteten Hermeneutikern. »Indem er derart die Literaturwissenschaft technologisiert,<br />
ist er den gesellschaftlichen Verkehrs- und Verfahrens formen .. , undurchschaut<br />
verhaftet« (178) - so Hörisch/Pott abschließend. »Unentschieden« im Kampf zwischen<br />
Links-Szientismus und Hermeneutik?<br />
Claudia Albert (Berlin/West)<br />
Wild, Reiner: Literatur im Prozeß der Zivilisation. Zur theoretischen Grundlegung der<br />
Literaturwissenschaft. J.B. Metzler, Stuttgart 1982 (239 S., Ln., 72,- DM)<br />
Harth, Dietrich, und Peter Gebhardt (Hrsg.): Erkenntnis der Literatur. <strong>Theorie</strong>n, Konzepte,<br />
Methoden. J.B. Metzler, Stuttgart 1982 (X + 358 S., Ln., 39,- DM)<br />
Es zeugt zweifelsohne von Mut, in der gegenWärtigen Situation der Literaturwissenschaft,<br />
die von Ratlosigkeit (ihre gesellschaftliche Funktion betreffend) und Eklektizis-<br />
DAS ARGUMENT 146/1984 CS