das argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV
das argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV
das argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
DAS ARGUMENT 146/1984 ©<br />
Soziale Bewegungen und Politik 657<br />
erarbeitete Entfaltung der zentralen These über einen Sozialismus, der versucht, »die<br />
Religion zu beerben« (89), und den Konsequenzen, die <strong>das</strong> im Alltagsleben und -<br />
bewußtsein von Arbeitern angesichts der Niederlagen der Bewegung haben. mußte:<br />
»Wenn der Mensch zum ausführenden Organ eines kosmisch-menschheitlichen Entwicklungsgesetzes<br />
wird, verlangt <strong>das</strong> auf der Gefühlsebene einen totalen Zukunftsoptimismus.<br />
Dieser Optimismus bewirkt, daß niemand sich traut, die Empfindung der Vergeblichkeit<br />
des Kampfes oder gar der Vergeblichkeit des eigenen Lebens im öffentlichen<br />
Gespräch zuzulassen. In jener Niederlage aber und angesichts des Todes wird diese Erfahrung<br />
unabweisbar.« (100) Deshalb müssen also beide verdrängt werden; auf der Ebene<br />
der Traditionsbildung von Organisationen und Bewegungen ebenso, wie vom Steiger<br />
S. und seiner Frau und jedem einzelnen Arbeiter im individuellen Leben. Und in einer<br />
bestimmten Art von Wissenschaft, in der jede Niederlage der Arbeiterbewegung als eine<br />
vorläufige, ja als ein Schritt zum endlich doch unbezweifelbaren (End-)Sieg erscheint,<br />
allemal. Für Lucas' eigene Stellung als Historiker und Sozialist mußte deshalb die Verbindung<br />
der drei Ebenen unvermeidlich werden, seine persönliche Entwicklung für ihn<br />
selbst (und den Leser) zu einem objektiven Faktum, <strong>das</strong> bei einer Darstellung der Geschichte<br />
nicht ausgeklammert werden konnte.<br />
Auch da, wo es nicht dessen eigene Geschichte wiedergibt, wird dieses Buch den Leser<br />
berühren. Auch wo die Entwicklung seines Verfassers kein allgemeines Muster abgeben<br />
kann, es auch gar nicht versucht, diesen Eindruck zu erwecken, wird doch die Frage<br />
nach einer geschichtlichen Auflösung des angesprochenen »Schweigens«, der permanenten<br />
Verdrängung der Erfahrungen der Menschen aus der »offIziellen« Ideologie und Geschichtsschreibung<br />
ein Problem für uns alle. Das Ziel, daß der Mensch seine Geschichte<br />
eines Tages in Freiheit selbst und bewußt gestalten werde, bleibt ja an die Voraussetzung<br />
gebunden, daß bewußtes Sein der Individuen und objektives Bewußtsein als gelebte und<br />
gemachte Geschichte nicht mehr auseinanderklaffen. Michael Th. Greven (Marburg)<br />
Seibei, Wolfgang: Regierbarkeit und Verwaltungswissenschaft. Ideengeschichtliche Untersuchung<br />
zur Stabilität des verwaltenden Rechtsstaates. Campus Verlag, Frankfurt/M.<br />
und New York 1983 (341 S., br., 58,- DM)<br />
Der Autor setzt sich in seiner bereits 1982 als Dissertation vorgelegten Studie zwei Ziele:<br />
Zum ersten sollen Krisenerscheinungen wie Bürokratisierung, Gesetzesflut und Legitimationsveriust<br />
auf ihren politisch-soziologischen Gehalt hin erhellt und unter dem Begriff<br />
der Regierbarkeit zusammengefaßt werden. Zum zweiten stellt der Autor die Frage,<br />
»welche Beiträge die Verwaltungswissenschaft zur Verringerung der hier angelegten 'Regierbarkeits'-Risiken<br />
leisten kann« (9). Die vorgelegte Studie soll hierbei »einen Beitrag<br />
zur Integration der Verwaltungswissenschajt selbst« (23) leisten.<br />
Regierbarkeit wird interpretiert als »ein soziologisches Grundproblem« (69): als »der<br />
Zusammenhang von Komplexität und Identität in sozialen Ordnungen« (69). Die<br />
Grundfrage lautet für den Autor (im Anschluß an Marx und Weber): »wie 'entfremdete'<br />
nicht-identitäre soziale Ordnungen sich stabil halten« (69). Als Zugang zur Klärung dieser<br />
Frage verwendet der Autor <strong>das</strong> Erklärungsmodell des Integralen Staates, <strong>das</strong> er unter<br />
Bezugnahme auf »SO unterschiedliche Theoretiker wie Rudolf Smend und Antonio<br />
Gramsci« (9) entwirft. Können in weniger komplexen Gesellschaften Probleme des sozialen<br />
Wandels durch Anpassungen sozialer <strong>Institut</strong>ionen gelöst werden, so ist dies in<br />
komplexen Gesellschaften nicht mehr möglich. In ihnen muß vielmehr der Staat »die institutionellen<br />
Anpassungsleistungen ... 'überwachen'« (88) oder sogar »selbst als Agent<br />
sozialen Wandels auftreten« (88). Der Staat wird zum Zentrum der Systemintegration<br />
und muß zur Wahrnehmung dieser Funktion »hinreichend differenzierte Bearbeitungsformen«<br />
(93) ausbilden. Dies erfolgt über den Mechanismus der strukturellen Differenzierung<br />
organisatorischer (bürokratische Verwaltung) wie rechtlicher Art (Rechtsstaat).