02.03.2014 Aufrufe

das argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV

das argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV

das argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

527<br />

J oachim Radkau<br />

Die Zweideutigkeit des Kapitals gegenüber dem Faschismus<br />

Einige Gedanken zum Verhältnis von Geschichtsforschung und<br />

Faschismustheorie und zum Vergleich zwischen Deutschland und Italien*<br />

1. Faschismusforschung und Faschismus-<strong>Theorie</strong>:<br />

Die Gefahr der Betriebsblindheit und des Aneinander-Vorbeiredens<br />

Am 6. August 1932 schrieb Eckart Kehr an Wolfgang Hallgarten - beides damals<br />

junge Historiker, die als Pioniere in der Erforschung ökonomischer Zusammenhänge<br />

der Geschichte innerhalb der Historikerzunft auf verlorenem<br />

Posten standen: »In 30 Jahren werden wir ja auch genug Material haben, hoffe<br />

ich, um im einzelnen zeigen zu können, was Adolf und seine ganzen 13 Millionen<br />

wildgewordener Idiotenbürger für Huren der Thyssen etc. waren.«! Die<br />

dreißig Jahre sind längst vergangen. Kehr starb schon 1933; Hallgarten blieb<br />

zeitlebens isoliert. 2 Noch heute wären die allermeisten Historiker über den<br />

Kehrsehen Vorsatz, die Nazis als »Huren der Thyssen etc.« zu enthüllen, gewiß<br />

peinlich berührt. Kaum daß die Beziehungen zwischen Industrie und Faschismus<br />

um 1970 herum ein etwas intensiveres wissenschaftliches Interesse gefunden<br />

hatten, wurde es schon wieder Mode, <strong>das</strong> Thema als »modisch« abzutun.<br />

Dennoch wurde während der 70er Jahre von der Geschichtsforschung ein<br />

immer dichteres Netz von Querverbindungen zwischen faschistischer Politik<br />

und industriellen Strategien aufgedeckt - mitunter sogar dann, wenn die erklärte<br />

Absicht bestand, die aller Ökonomie spottende Eigendynamik des Faschismus<br />

zu demonstrieren) Nach und nach - wenn auch vielfach nicht klar<br />

begriffen - stellte sich heraus, daß selbst dann, wenn man ganz ohne kritischtheoretische<br />

Ambitionen einfach die Quellen durchackerte, <strong>das</strong> Gewicht ökonomischer<br />

Bedingungen bei der Etablierung des NS-Systems kein bloßer<br />

Ran<strong>das</strong>pekt, sondern eine gewichtige Determinante war. Aber die theoretische<br />

Aufarbeitung hat mit der empirischen Forschung nicht Schritt gehalten. Das<br />

Gesamtbild der Geschehnisse ist bislang eher verwirrender geworden. Zwar ist<br />

die Masse der Belege über Affinitäten zwischen Kapital und Faschismus beträchtlich<br />

gewachsen, ebenfalls jedoch die Zahl der Beobachtungen, die auf<br />

ein schwankendes und mehrdeutiges Verhalten der Wirtschaftsführer gegenüber<br />

den Faschisten hinweisen. Den Gipfel der Verwirrung bescherte kürzlich<br />

die Dissertation von Neebe, der nachwies, daß ab 1932 ausgerechnet Silverberg<br />

- der Braunkohlenindustrielle jüdischer Herkunft, der bislang als Oberhaupt<br />

einer republikfreundlichen Industriefraktion gegolten hatte - zielstrebig die<br />

Kanzlerschaft Hitlers betrieb, während die Spitze des Reichsverbandes der<br />

Deutschen Industrie Ende 1932 entgegen verbreiteter Annahme an Schleicher<br />

festhielt. 4<br />

* Wesentliche Anregungen verdankt dieser Beitrag einer zum Thema »Faschismus« unternommenen<br />

Italien-Exkursion mit Kollegen und Studenten der Universität Bielefeld und einem dabei abgehaltenen<br />

Kolloquium »Italienischer und deutscher Faschismus im Vergleich« mit Historikern<br />

und Politikwissenschaftlern der Universita degli Studi di Perugia (Oktober !982).<br />

DAS ARGUMENT 146/1984 'S

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!