das argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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622 Besprechungen<br />
Nun sind es eigentlich mindestens drei Geschichten, die hier neben- und nacheinander<br />
erzählt, aber von der Autorin nicht immer analytisch auseinandergehalten werden. Die<br />
eine ist die Entdeckungsgeschichte von Stoffen mit ihren Eigenschaften, mit den zu ihrer<br />
Darstellung nötigen Vorrichtungen, Instrumentierungen und technischen sowie experimentellen<br />
Voraussetzungen. Die zweite ist eine im engeren Sinne als begrifflich zu bezeichnende<br />
Geschichte und betrifft Prämissen über die Beschaffenheit der Materie und<br />
<strong>das</strong> Wesen chemischer Prozesse: Hier geht es um die Ablösung des traditionellen Denkens<br />
in chemischen Prinzipien (Träger bestimmter Eigenschaften, die den verschiedenen<br />
Stoffen zugefügt bzw. weggenommen werden und die so deren Eigenschaften bestimmen)<br />
durch ein korpusku1artheoretisches, dann elementartheoretisches Denken. Die Geschichte<br />
des chemischen Elementkonzepts ist nicht die des physikalischen Atomismus!<br />
Die dritte ist die Geschichte der Konzeptualisierung des Verbrennungsvorgangs als Ausgangspunkt<br />
für die Systematisierung chemischer Prozesse. Das Ineinandergreifen und<br />
<strong>das</strong> Aneinandervorbeizielen dieser drei Geschichten - wobei die begrifflich über weite<br />
Strecken eine subversive Geschichte bleibt - bestimmt insgesamt »die« Geschichte der<br />
Chemie dieser Zeit.<br />
Die detaillierte und spannende Schilderung des später als Revolution der neuzeitlichen<br />
Chemie bezeichneten Übergangs zur Oxidationstheorie Lavoisiers führt mit aller Deutlichkeit<br />
ein Problem vor Augen, mit dem alle Wissenschaftsgeschichtsschreibung konfrontiert<br />
ist: »Was sich in der Statik nachträglichen Rückblicks auf einen längst vollzogenen<br />
<strong>Theorie</strong>wandel an 'fertig' sich darbietenden Systemen als vollständige Unvereinbarkeit<br />
zweier chemischer Perspektiven und mithin ihrer Ausdrucksweisen zu erkennen<br />
gibt, hat in der Dynamik geschichtlichen Hergangs keine Entsprechung« (257-258). Dennoch<br />
möchte man der Autorin nicht gerne zugestehen, sich dem, was Canguilhem einmal<br />
als <strong>das</strong> Problem der Rekurrenz für die Wissenschaftshistorie bezeichnet hat, nämlich<br />
aus der Perspektive dessen, was geworden ist, rekonstruieren zu müssen, ohne dies<br />
doch bereits in <strong>das</strong>, was gewesen ist, hineinzuverlegen, durch den schlichten Anspruch<br />
zu entziehen, daß die vorliegende Untersuchung »nur« behaupte, »daß es in der Chemie<br />
des 18. Jahrhunderts 'so gewesen sei', wie sie es darstellt, und nichts darüber hinaus«<br />
(10). Hans-Jörg Rheinberger (Berlin/West)<br />
Fabian, Bemhard, und Wilhelm Schmidt-Biggemann (Hrsg.): Das achtzehnte Jahrhundert<br />
als Epoche. (Studien zum 18. Jahrhundert, Bd.l) KTO Press, NendelnlLiechtenstein<br />
1978 (ab 1983 bei Felix Meiner, Hamburg) (156 S., 24 Abb., br., 48,- DM)<br />
Fabian, Bemhard, Wilhelm Schmidt-Biggemann und Rudolf Vierhaus (Hrsg.):<br />
Deutschlands kulturelle Entfaltung I Die Neubestimmung des Menschen. (Studien zum<br />
18. Jahrhundert, Bd.2/3) Kraus Int. Pub!., München 1980, (ab 1983 bei Felix Meiner,<br />
Hamburg) (282 S., br., 48,- DM)<br />
Schneiders, Wemer (Hrsg.): Christian Wolff: 1679-1754. Interpretationen zu seiner Philosophie<br />
und deren Wirkung. Mit einer Biographie der Wolff-Literatur. (Studien zum<br />
18. Jahrhundert, Bd.4) Felix Meiner, Hamburg 1983 (354 S., 1 Abb., Ln., 96,- DM)<br />
»Wie Zecken immer auf Buttersäure, so kommen Begriffsgeschichtler immer auf 1750«,<br />
lautet eines der Bonmots, für die der Philosoph Odo Marquard (Bd.2/3, 194) inzwischen<br />
eine Art Berühmtheit besitzt. Und in der Tat ist <strong>das</strong> 18. Jahrhundert seit geraumer<br />
Zeit so etwas wie ein »Renner« unter den Saecula. Erst neuerdings mehren sich Zeichen<br />
einer Interessenverschiebung auf die frühe(re) Neuzeit. Damit kommt aber auch die<br />
Stunde verdienstvoller Bestandsaufnahmen der geleisteten Forschung - hier institutionell<br />
gefördert durch die »Deutsche Gesellschaft für die Erforschung des 18. Jahrhunderts«<br />
(DGEJ, gegr. 1975).<br />
Und wirklich lassen bereits die ersten drei Bände der Reihe kaum ein Thema aus,<br />
kaum ein Desiderat offen: ob nun zur historischen Semantik politischer Begriffe (R. Ko-<br />
DAS ARGUMENT 146/1984 ©