das argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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eigene Handeln wie jenes der politischen Gegner blieb vielfach ähnlich unbegriffen wie<br />
sein Vorstoß, Kriterien einer »revolutionären Sparpolitik« zu entwickeln; was Berlinguer<br />
Mitte der 70er Jahre vorschwebte, um einer hegemonialen Arbeiterbewegung seines<br />
Landes wie des Westens <strong>das</strong> Aufkommen für koloniales Erbe und die Ausplünderung<br />
der Dritten Welt zu ermöglichen, <strong>das</strong> ist heute nicht weniger radikal auf die globale Verantwortung<br />
der sogenannten Ersten Welt für die ökologische Krise zu erweitern.<br />
Schließlich konnte sein Weg einer <strong>kritische</strong>n Verarbeitung der sowjetischen Erfahrung,<br />
ihrer realen Politik nach innen und außen, bis hin zum »Riß« nach der Verhängung des<br />
Kriegsrechts in Polen, nicht ohne Widerstand in den eigenen Reihen bleiben.<br />
So ist <strong>das</strong> Vorankommen noch im Scheitern, <strong>das</strong> Erobern neuer Provinzen für die sozialistische<br />
Idee noch in Zeiten der Defensive zu einern Merkmal des politischen Wirkens<br />
Enrico Berlinguers geworden. Er teilt es mit den größten Vorkämpfern der internationalen<br />
Arbeiterbewegung. Sich die Bedeutung eines solchen Beispiels für die gemeinsame<br />
Sache bewußt zu machen, seine vorwärtstreibende Kraft anzuerkennen und für den eigenen<br />
Kampf zu nutzen, <strong>das</strong> ist gerade auch für linke Sozialdemokraten und Sozialisten<br />
aus dem Lebenswerk des italienischen Kommunisten Berlinguer zu lernen.<br />
Detlev Albers<br />
Trauer über Foucaults Tod<br />
Ohne Foucault würden viele von uns noch immer naiv fragen, wie man der »Wahrheit«<br />
zur »Macht« verhelfen könne. Endlich die Gesetze des Klassenkampfs begreifend, hatten<br />
wir uns auf den langen Weg der Beseitigung der Irrtümer und der Besiegung der<br />
Feinde begeben. Dabei war uns <strong>das</strong> Vertrackte der Korrekturen und Siege nicht verborgen<br />
geblieben: es erwies sich als schwierig, anzugeben, was »Ideologie« sei, und als unmöglich,<br />
die Formel von der »Diktatur des Proletariats« im Interesse ihres gemeinten<br />
Sinns aufrechtzuerhalten. Aber wer hätte uns gelehrt, daß die Suche nach »der Wahrheit«<br />
selbst schon der erste Irrtum ist, wenn ihre Kehrseite in der Konstruktion von Ausschließungssystemen<br />
besteht? Daß die Systeme der Ausschließung, Kontrolle und Spaltung<br />
nichts anderes sind als die Systeme der Macht; daß die Macht nicht in der Person<br />
der Mächtigeren haust - denn sie formt ihre Opfer nicht weniger als ihre Profiteure -,<br />
daß wir uns also der Mächtigeren nicht entledigen werden, wenn wir uns nicht auch der<br />
Macht entledigen? Und daß man eine Formel nicht beseitigt außer durch eine andere<br />
Formel - die wir noch nicht gefunden haben -, da es keinen Sinn gibt außer auf der<br />
Oberfläche des Signifikanten? In unseren Weg zur klassenlosen Gesellschaft ist ein anderer<br />
eingemündet, ohne den wir nicht mehr vorankämen, weil wir jetzt erst verstehen, was<br />
wir eigentlich tun.<br />
Die Rezeption Foucaults war für deutsche Marxisten nicht einfach. Dazu trugen zweifellos<br />
»Foucaults Schwächen« bei, aber auch ihr eigenes Nichtverstehenkännen und<br />
-wollen. Manch einer wettert gegen den »Strukturalismus«, nicht um Marx zu verteidigen,<br />
sondern um ihn zur Verteidigung der Hermeneutik oder gar des Aristotelismus zu<br />
mißbrauchen. Andere haben vielleicht wie Kinder geschmollt, weil Foucault seinerseits<br />
die Bedeutung der Marxschen <strong>Theorie</strong> verkannte (die Bemerkungen, die er in der »Ordnung<br />
der Dinge« über Marx fallen läßt, verraten, daß er Marx mit Ricardo gleichsetzt).<br />
Wichtiger ist aber, daß er die Marxisten keineswegs verkannte, als er ihnen in einern Interview<br />
vorwarf, sie verfügten über keine brauchbare Machtanalyse, und diesen Mangel<br />
als Ausgangsimpuls seiner eigenen Arbeit bezeichnete. Ob mit oder ohne Absicht, Foucault<br />
steht damit in einer Linie mit aller Ökonomismus-Kritik in der Marxschen Tradition.<br />
Inzwischen ist die Fruchtbarkeit seiner Arbeiten für diese Kritik durch die Foucault-Lektüre<br />
von Autoren wie Althusser (der umgekehrt auch Foucault inspiriert hat),<br />
Poulantzas, Pecheux und Laclau, im deutschen Sprachraum etwa von Joachirn Hirsch<br />
DAS ARGUMENT 146/1984:S