02.03.2014 Aufrufe

das argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV

das argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV

das argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

562 JanRehmann<br />

andergetrieben und geraten in einen Gegensatz, der als qualvolle »Gewissensnot«<br />

gelebt wird. Aus dieser Gewissensnot heraus entsteht unter dem Einfluß<br />

der Theologie Karl Barths ein neues Kirchenverständnis: Die Kirche hat nicht<br />

mehr die Aufgabe, die Christen der Obrigkeit zu unterstellen, sondern ist nur<br />

noch dem in der Heiligen Schrift bezeugten Wort Gottes unterstellt. Die traditionellen<br />

Verbindungen des Religiösen mit Elementen anderer ideologischer<br />

Formationen (z.B. Thron - Altar, Nation - Gott, Rasse - Vorsehung) werden<br />

als Verfälschungen des christlichen Glaubens verurteilt. Das staatstreue<br />

»Bindestrich-Christentum« gilt als Aufruhr des Menschen gegen die Alleinherrschaft<br />

Gottes. Aus dieser ausschließlichen und bedingungslosen Unterstellung<br />

unter Gottes Wort bezieht die Bekennende Kirche ihre Kompromißlosigkeit<br />

gegenüber der faschistischen Kirchenpolitik. Der deutsche Protestantismus<br />

hat sich hier mehr als je zuvor aus seiner Verklammerung mit den anderen<br />

ideologischen Mächten des Staates herausgedreht.<br />

9. Die Organisation der DC zerbricht am Widerstand der Bekennenden Kirche.<br />

Das Reichskirchenministerium unter Kerrl entwickelt daraufhin 1935 eine<br />

neue Strategie der »Befriedung«: Die Kirchenorganisation soll staatlicher Kontrolle<br />

unterstellt, <strong>das</strong> »Bekenntnis« aber soll pluralistisch freigegeben werden.<br />

Dadurch wird der kirchliche Widerstand gespalten. Die meisten »bekenntnistreuen«<br />

Pastoren geben ihren Widerstand auf, soweit sie ohne staatliche Einmischung<br />

»Gottes Wort« frei verkünden können. Der staatstreue Flügel der<br />

Bekenntnisfront (in der Kirchengeschichtsschreibung bezeichnet man ihn gern<br />

als »gemäßigt«) wird in die faschistische Kirchenpolitik re-integriert. Die<br />

Reichsregierung konzentriert sich bis 1945 auf die Zerschlagung der radikalen<br />

bruderrätlichen Bekennenden Kirche, die die Trennung von Kirchenorganisation<br />

und »Bekenntnis« verweigert. Die »dahlemitische« Richtung der Bekennenden<br />

Kirche tritt als die alleinige Kirche des Wortes Gottes auf und fordert<br />

den Ausschluß der kirchenpolitischen Gegner als »Ketzer«. Im Kampf gegen<br />

diesen »unduldsamen Fanatismus« wird <strong>das</strong> Reichskirchenministerium punktuell<br />

von den »intakten« Kirchen unterstützt (z.B. 1938 anläßlich der Friedensliturgie<br />

der Bekennenden Kirche).<br />

10. Bei der Theologie Barths stoßen wir auf eine paradoxe ideologische Leistung:<br />

einerseits entmachtet sie unter Berufung auf die göttliche Alleinherrschaft<br />

die Irdischen gegenüber dem Göttlichen, andererseits stärkt sie gerade<br />

dadurch den aufrechten Gang der Bekenntnistreuen gegenüber der faschistischen<br />

Kirchenpolitik. Ihre »ahumane Groteske« (Bloch 1979, 1406) schützt<br />

<strong>das</strong> Christentum vor der faschistischen Umdeutung und die Kirchenorganisation<br />

vor der Gleichschaltung. Viele der humanistischen Zeitgenossen Barths,<br />

die ihm »Fanatismus«, »Unmenschlichkeit«, >>unchristliche Unduldsamkeit«<br />

vorwarfen, haben ihren Frieden mit der »gemäßigten« Kirchenpolitik des<br />

Reichskirchenministeriums geschlossen.<br />

11. Aber zur Entwicklung eines Volkswiderstands gegen die Verbrechen der<br />

faschistischen Regierung hat die Bekennende Kirche kaum beigetragen: Der<br />

faschistischen Einbindung attraktiver religiöser Elemente setzt sie die karge<br />

Perspektive einer ausschließlichen und bedingungslosen Unterstellung entgegen.<br />

Sie orientiert auf <strong>das</strong> Ausharren in einer umzingelten Festung:<br />

DAS ARGUMENT 146/1984 ©

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!