02.03.2014 Aufrufe

das argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV

das argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV

das argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Philosophie 623<br />

sellek), zum Historismus-Kritizismus-Problem bei Kant, Forster und Herder (M. Riedei)<br />

oder gar zur musikgeschichtlichen Stellung der Wiener Klassik (S. Kunze), zu Fragen der<br />

Wissenschafts- und Mentalitätsgeschichte oder des Konzeptwandels der Anthropologie.<br />

Während Band 1 vor allem Problemen der Epochenspezifik gewidmet ist und insofern<br />

auch programmatische Bedeutung für die Arbeit der DGEJ hat, geht der Band 2/3 mehr<br />

in die Details der interdisziplinären Forschung. B. Fabian liest aus Popes »Essay on<br />

Man« eine newtonianische Anthropologie als dynamische <strong>Theorie</strong> der »ruling passions«<br />

heraus, die der frühaufklärerischen Leitwissenschaft Physik Tribut zollt, J.v. Stackelberg<br />

sieht im Wandel des Frauenbildes im französischen Roman der Zeit einen Transformationsprozeß<br />

der verhaltensnormativen »Tugend« »von Resignation zu AffIrmation«<br />

(2/3, 151), und Chr. Probst zeigt einen Zusammenhang von Konzepten der praktischen<br />

Medizin (der Iatromechanik Boerhaaves und des Epidemismus von Sydenham) mit den<br />

philosophischen Grundströmungen des Rationalismus und Empirismus auf.<br />

Originell sind W. Schmidt-Biggemanns Ausführungen über <strong>das</strong> »Ende der Erbsünde«,<br />

der eine Konservierung der Theodizee in der Ästhetik »mutmaßt«, und - wie<br />

zu erwarten - O. Marquards Rhapsodien über geschichtsphilosophische Pseudomorphosen<br />

der Theodizee bis in eine kulturkritisch behauptete »Übertribunalisierung« des<br />

modemen Gewissens. Anknüpfend an seine These vom »Ende der Naturgeschichte«<br />

sieht Wolf Lepenies die disziplinäre Crux der Anthropologie in der Unmöglichkeit, die<br />

»Sonderstellung des Menschen« gegen die neuen Evidenzen einer evolutionistischen Logik<br />

des Kontinuums (Darwin: »Man is no exception«, 2/3, 224) systematisch zu begründen,<br />

und begrenzt deshalb ihre theoretische Konjunktur historisch mit dem Aufkommen<br />

des Evolutionismus.<br />

Interessant ist auch G. Kleinheyers Nachweis markanter Wandlungen des Strafrechts<br />

anhand der Karriere des Delinquenten vom Sünder zum Verletzer der öffentlichen<br />

(staatlichen) Ordnung und Sicherheit im Zusammenhang der neuen Betonung der Willensmächtigkeit<br />

des Vergehens, der Abschaffung der Tortur als Ausdruck eines wachsenden<br />

Sinnes für Strafökonomie, der Betonung der auf <strong>das</strong> Individuum erzieherisch<br />

wirkenden Spezialprävention (gegenüber einer bloß generalpräventiven »Abschrekkung«)<br />

usw .... Den gewichtigen Schluß des Doppelbandes bildet H.-J. Schings sehr<br />

problemhaltige Studie über den Zusammenbruch der traditionellen Ontologie des Stufenkosmos<br />

(chain of being) und der prästabilierten Harmonie beim jungen Wieland sowie<br />

einer gegenläufigen Rehabilitation einiger Elemente des Leibnizianismus als Kompensation<br />

vulgärmechanistischer Effekte der Aufklärungsphilosophie bei Jean Paul.<br />

Aus der prekären Balance dieser heterogenen Elemente leitet Schings nicht ohne Plausibilität<br />

auch die starken inneren Spannungen und Stilbrüche der Prosa Jean Pauls ab.<br />

Der BdA umfaßt die Materialien einer dem Aufklärungsphilosophen Chr. Wolff anläßlich<br />

seines 300. Geburtstags gewidmeten Tagung. N. Hinske faßt am Schluß des Bandes<br />

den Tenor der vielfältigen Beiträge zu Werk und Wirkung pronociert zusammen: »Die<br />

Frage nach 'Wolffs Stellung in der deutschen Aufklärung' ist kein Detailproblem. Sie ist<br />

bis zu einem gewissen Grade die Frage nach der deutschen Aufklärung überhaupt.«<br />

(310) Damit wendet sich Hinske explizit gegen neuere Versuche, die Bedeutung Wolffs<br />

etwa mittels einer behaupteten Antithese zwischen der modemen Form (Rationalismus)<br />

und dem konservativen Gehalt seiner Philosophie oder einer zum Beispiel von Mittelstrass<br />

hervorgehobenen »Mesalliance von Aufklärung und Metaphysik« zu schmälern.<br />

Unter Berufung auf Kant vermag Hinske dagegen zu zeigen, daß der WolffIanismus<br />

nicht nur die offIZielle Schulphilosophie der Universitäten beeinflußte, sondern über die<br />

zumeist eine Generation jüngeren »Reformwolffianer« von Sulzer bis Platner prägenden<br />

Einfluß auf sehr unterschiedliche Bestrebungen und Disziplinen gewinnen konnte -<br />

nicht zuletzt auf Svarez' Schöpfung des Allgemeinen Preußischen Landrechts am Ende<br />

des Jahrhunderts. Selbst auf den als umstürzlerisch verschrienen Illuminatenorden blieb<br />

DAS ARGUMENT 146/1984 Cf;

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!