das argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV
das argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV
das argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
636 Besprechungen<br />
Daten und Zahlen, Literaturverzeichnis und eine übersichtliche Gliederung machen<br />
diese Studie zu einem brauchbaren Hilfsmittel; sie signalisiert ein neues, engagiertes wissenschaftliches<br />
Interesse an dem Verein, aber auch Forschungsdesiderata.<br />
Dieter Kramer (Marburg)<br />
Batz, Michael, und Horst Schroth: Theater zwischen Tür und Angel. Handbuch für<br />
Freies Theater. Rowohlt Taschenbuchverlag, Reinbek 1983 (315 S., br., 14,80 DM)<br />
Harjes, Rainer: Handbuch zur Praxis des Freien Theaters. Lebensraum durch Lebenstraum.<br />
DuMont, Köln 1983 (298 S., br., 16,80 DM)<br />
Seit dem Ende der siebziger Jahre ist Freies Theater weithin zum Begriff und Bedürfnis<br />
geworden. Anfangs eher Mittel politisch gemeinter Straßenaktion, gehören Sketch und<br />
Pantomine, Stelzen und Masken, Clowns und Akrobaten inzwischen zum festen Repertoire<br />
einer Kleinkunst, die nicht nur von Vaganten und zahllosen einschlägigen Festivals<br />
gepflegt wird, sondern auch bei Bürgerinitiativen, Therapiezirkeln oder als privater<br />
Mummenschanz auf alternativen Feten. Von professioneller Seite gab es zunächst Anerkennung<br />
für die Amateure und ihre »Sehnsucht nach Produktivität« (Theater heute<br />
1/78), wenig später jedoch den Hinweis auf einen »Niedergang der freien Gruppen in<br />
Deutschland« (7/79). Andernorts zeichnet sich dagegen ein ungeahnter Aufstieg ab: in<br />
den USA und England wirken bereits mehrere tausend Clowntearns in der kirchlichen<br />
Sozialarbeit.<br />
Einer seelsorgerischen Nutzanwendung scheint <strong>das</strong> Freie Theater zumindest partiell<br />
entgegenzukommen. Michael Batz und Horst Schroth beabsichtigen, mit »Theater zwischen<br />
Tür und Angel« (so heißt auch eine von ihnen gegründete Hamburger Gruppe)<br />
»Mut zu machen: zum Aufbruch, zur Abweichung, zum Ausflippen, zu einem etwas<br />
anderen Leben. Und <strong>das</strong> auch ganz eigennützig - je mehr es gibt von diesen ernsthaften<br />
'komischen Figuren', desto weniger Angst vor der Zukunft müssen wir haben« (10).<br />
Selbsthilfe also durch schauspielerische Befreiung von alltäglichem Zwang und gesellschaftlicher<br />
Konvention. Oder, nach der Losung von Rainer Harjes, »Lebensraum<br />
durch Lebenstraum«. Die ersten Schritte sind leicht getan. »Es ist völlig egal, was ihr<br />
schon vom Theater wißt. Am besten, ihr vergeßt es«, empfehlen BatziSchroth. »Alles<br />
ist Theater« (25f.). Jeder könne sich daher zum Akteur entwickeln, jede Situation, jeder<br />
Ort sei für Auftritte geeignet. Die Autoren raten zu einfachen Mitteln, handlichen vielseitig<br />
verwendbaren Requisiten, zu Improvisation und variabel angelegten Szenenabläufen.<br />
Entschlossen, die »Rebellion des Körpers ernstzunehmen«, opponieren sie gegen<br />
Sprechbühne, herkömmliche Dramaturgie, gegen <strong>das</strong> »Theater des Kopfes« (67). Ihr<br />
Buch gibt dazu in Form eines Taschenlehrgangs für Selbermacher die nötige praktische<br />
Anleitung, ausgehend von Lockerungsübungen über Ausdruckstechniken bis hin zur<br />
»Vierfach-Brücke« nach Art der Bremer Stadtmusikanten (234).<br />
Dabei werden allerdings die Grenzen des zu Anfang beschworenen Aufbruchs bald<br />
deutlich. Um zu befriedigenden Ergebnissen zu kommen, bleibt handwerkliche Vervollkommnung<br />
unabdingbar, die unweigerlich mit fortschreitender Spezialisierung einhergeht.<br />
Je weiter sich Freizeitmirnen zu Artisten mausern, desto stärker geraten sie unter<br />
Originalitäts- und Konkurrenzdruck, betrachten ihre Zuschauer als animationsbedürftige<br />
Masse (BatziSchroth sprechen bezeichnenderweise von »Mitmachenlassen« des Publikums,<br />
201). In mehrfacher Hinsicht ist deshalb <strong>das</strong> Freie Theater ein »Theater zwischen<br />
Tür und Angel«: es bewegt sich zwischen mühsam behaupteter ökonomischer U n<br />
abhängigkeit und tendenziellem Zwang zur »Professionalisierung« (297-307), zwischen<br />
emanzipatorischem Vorsatz und Anpassung an <strong>das</strong>, was gefallt, eine Karriere aufzubauen<br />
hilft, zwischen Protestgebärde und selbstgenügsamer Virtuosität.<br />
Die meisten jüngeren Ensembles sind sich dieses Dilemmas kaum noch bewußt. Aus<br />
dem unerschütterlichen Glauben, etwas grundsätzlich anderes zu leisten als die etabliernAC<br />
AOr..THo.,.fJ:NT 1