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das argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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Die Kirchen und der deutsche Faschismus<br />

563<br />

» Ein jeder sein Gesichte<br />

In ganzer Wendung richte<br />

Steif nach Jerusalem!« (Barth 1933,7)<br />

Nach 1935 widersteht die Bekennende Kirche als defensive, auf die Verteidigung<br />

kirchlicher Einrichtungen und Werte beschränkte Minderheitsbewegungen<br />

kleiner Kerngemeinden. Zu Recht kritisiert Bonhoeffer in den letzten Briefen<br />

vor seiner Hinrichtung:<br />

»' Jesus' entschwindet dem Blick. Soziologisch: keine Wirkung auf die breiten Massen; Sache der<br />

Klein- und Groß bürger. Starke Belastung mit schweren, tradierten Gedanken. Entscheidend:<br />

Kirche in der Selbstverteidigung. Kein Wagnis für andere.« (Bonhoeffer 1958, 259)<br />

12. Nach der Zerschlagung des Faschismus kämpfen die nicht deutschchristlichen<br />

Richtungen um die Neugestaltung der evangelischen Kirche. Es<br />

droht eine Kirchenspaltung zwischen lutherischer und Bekennender Kirche, die<br />

sich zugunsten der Bekennenden Kirche auswirken könnte. Eine von unten<br />

nach oben organisierte Gemeindekirche, die durch ihren »Fanatismus« die<br />

Verbindungen zur ideologischen Reproduktion der Gesamtgesellschaft abgeschnitten<br />

hätte, stünde der Restauration des antisozialistischen bürgerlichen<br />

Staates nach 1945 im Wege. Der Übergang vom antifaschistischen Grundkonsens<br />

zum Kalten Krieg, die deutsche Spaltung und Remilitarisierung erfordern<br />

ein elastisches Zusammenspiel der ideologischen Mächte. Als die Pfarrer der<br />

bruderrätlichen Bekennenden Kirche von der Front oder aus der Gefangenschaft<br />

zurückkehren, sind die entscheidenden Positionen in den kirchlichen<br />

Gremien schon von der konservativen Strömung der Bekenntnisfront besetzt.<br />

Während zum Beispiel Martin Niemöller von den amerikanischen Truppen<br />

festgehalten wird, bis er am 21. Juni 1945 seine Freilassung durch einen Hungerstreik<br />

erzwingt (vgl. Niesei 1978, 312), läßt sich der ehemalige Generalsuperintendent<br />

Dibelius schon in den letzten Kriegstagen zum Bischof von Berlin-Brandenburg<br />

ausrufen (ebd., 303). Die Bekennende Kirche wird in eine geistige<br />

Bewegung zurückverwandelt und als Minderheitsströmung in die Behördenkirche<br />

re-integriert. Ein Teil wendet sich nach links und sucht <strong>das</strong> Bündnis<br />

mit der Arbeiterbewegung. Ausgangspunkt für die Reorganisation der evangelischen<br />

Kirche sind nicht die Bruderräte, sondern die kirchlichen Behörden der<br />

Zeit vor 1933, die durch ihre Zustimmung zur »nationalen Regierung« die<br />

Machteroberung des Faschismus mit ermöglicht hatten.<br />

Literaturverzeichnis<br />

Barth, Karl, 1933: Lutherfeier 1933. In: Theologische Existenz heute, H.4. München<br />

Bloch, Ernst, 1967: Der Faschismus als Erscheinungsform der Ungleichzeitigkeit. In: Nolte<br />

1976, 182-205<br />

Bloch, Ernst, 19796: Das Prinzip Hoffnung, Bd.I-3. Frankfurt/M.<br />

Bonhoeffer, Dietrich, 19588: Widerstand und Ergebung. Briefe und Aufzeichnungen aus der<br />

Haft. Hrsg. v. E. Bethge. München<br />

Dibelius, Otto, 1927: Das Jahrhundert der Kirche. Berlin<br />

Gramsci, Antonio, 1967: Philosophie der Praxis. Hrsg. v. eh. Riechers, Frankfurt/M.<br />

Niemöller, Martin, 1934: Vom U·Boot zur Kanzel. Berlin<br />

NieseI, Wilhelm, 1978: Kirche unter dem Wort. Der Kampf der Bekennenden Kirche in der altpreußischen<br />

Union 1933-1945. Göltingen<br />

Nolte, Ernst, 1967: <strong>Theorie</strong>n über den Faschismus. Köln, Berlin/West<br />

DAS ARGUMENT 146/1984

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