das argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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582 Frieder O. Wolf<br />
welche Schärfe der Auseinandersetzung, welche Intensität gesellschaftlicher<br />
Kämpfe notwendig sein werden, um ihre einfachen inhaltlichen Forderungen<br />
auch nur ansatzweise durchsetzbar zu machen. Ihnen allen bietet die Ausstiegsideologie<br />
den probaten Trost und die beruhigende Gewißheit, daß auch<br />
ohne solche gefahr- und mühevollen Wagnisse eine »Wende zum Guten« eingeleitet<br />
werden kann - und <strong>das</strong> vielleicht auch noch in einer Koalition mit der<br />
SPD, der <strong>das</strong> Zugeständnis von Geld, Land und rechtlichen Rahmenbedingungen<br />
für einige Kommune-Experimente (im Sinne der »Modellversuche« der<br />
70er Jahre) bei nüchterner Betrachtung weit leichter fallen wird als eine konsequente<br />
Konversionspolitik gegenüber der Rüstungsindustrie, eine ernsthafte<br />
Entgiftung unserer Gewässer oder gar ein umfassender Abbau der Massenarbeitslosigkeit.<br />
Das heißt, die Ausstiegs-Ideologie bietet sich als ein taugliches<br />
Instrument an, um diesen Widerspruch systemstabilisierend zu neutralisieren,<br />
anstatt gerade an diesem Widerspruch zwischen inhaltlichen Forderungen und<br />
politischen Umsetzungsvorstellungen im Sinne einer fortschreitenden Radikalisierung<br />
der politischen Vorstellungen zu arbeiten.<br />
Dezentralisierung ist kein tragfähiger politischer Kampjbegriff<br />
Auch der Begriff der »Dezentralisierung« suggeriert eine politische Einheit, wo<br />
diese weder besteht noch überhaupt bestehen kann: Er verdeckt den Gegensatz<br />
zwischen einer Politik, die im Namen der »Dezentralisierung« die individuelle<br />
»Autonomie« - ob beim Abschluß eines »flexiblen« Arbeitsvertrages oder<br />
bei der Festlegung einer »profitablen« Unternehmens strategie - gegenüber<br />
»zentralen« Regelungen (Tarifvertrag) und Mächten (Gewerkschaften) einfordert<br />
und sich damit in den Zusammenhang einer neoliberalen »Entstaatlichungs«-Strategie<br />
stellt (die sich ohne Bruch ihrer inneren Logik mit »anti-monopolistischen«<br />
Entflechtungs- und Flexibilisierungsforderungen gegenüber<br />
den Groß konzernen verknüpfen läßt) und einer subversiven Politik, die in der<br />
Perspektive eines »Absterbens des Staates« als schlußendlichem Effekt eines<br />
langen revolutionären Prozesses die Aufhebung aller gegenüber den unmittelbaren<br />
Produzenten des gesellschaftlichen Reichtums und der gesellschaftlichen<br />
Verhältnisse selbst hypostasierten Machtzentren fordert.<br />
Dieser Effekt der »Verdeckung« ermöglicht nicht nur Scheinbündnisse zwischen<br />
»Dezentralisten« ganz gegensätzlicher Orientierung, die sich in der These<br />
des »small is beautiful« verbal treffen, er stützt auch - indem er die Frage<br />
nach den tragenden Machteffekten des kapitalistischen Herrschaftssystems<br />
durch den grundsätzlich irrationalen Gegensatz von »zentral« und »dezentral«<br />
bzw. sogar von »klein« und »groß« ersetzt - eine Illusion über den Systemcharakter<br />
der ökonomischen, ideologischen und politischen Mächte, die diese<br />
Gesellschaftsformation tragen. Diese Illusion besteht in der Vorstellung, der<br />
Staat (oder gar die Regierung) sei <strong>das</strong> wirkliche Zentrum der gesellschaftlichen<br />
Herrschaft und eine »Dezentralisierung« dieser politischen Macht würde bereits<br />
einen Prozeß der Ent-Machtung einleiten, an dessen Ende auch die Klassenherrschaft<br />
des Kapitals fallen müsse. Die Machtstrukturen, die dieses »System«<br />
tragen, sind dagegen in Wirklichkeit selbst polyzentrisch - so daß die<br />
Reproduktion der Herrschaft selbst bereits über einen beständigen Prozeß von<br />
DAS ARGUMENT 146/1984