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das argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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534 Joachim Radkau<br />

rung des Ersten Weltkrieges: Damals offenbarten sich in noch nie dagewesenem<br />

Maße die ökonomischen Chancen des modernen Krieges: die lukrativen<br />

Möglichkeiten eines engen Zusammenspiels von Industrie und Staat sowie die<br />

Annehmlichkeiten einer Militarisierung der Massen für <strong>das</strong> herrschende System<br />

- einer Militarisierung, die freilich in Italien die Arbeiterschaft kaum erfaßt<br />

hatte. Wachsende Konzentration und die Erfordernisse des technischen<br />

Fortschritts wirkten gerade in der unruhigen Zeit nach dem Ersten Weltkrieg<br />

dahin, in Wirtschaftskreisen die Überzeugung zu verbreiten, daß die Zeit des<br />

unternehmerischen Invididualismus vorbei sei und man sich, um zu überleben,<br />

in größere Organisationen fügen müsse - daß man überhaupt Abschied von<br />

manchen Behaglichkeiten des 19. Jahrhunderts nehmen und härter, kälter, disziplinierter<br />

werden müsse: Diese Form von Modernitätsbewußtsein scheint in<br />

Italien, dem Land des Futurismus, mindestens so ausgeprägt gewesen zu sein<br />

wie in Deutschland.<br />

Noch ein weiterer Wandel in Mentalität und Methode ist von Bedeutung. In<br />

den 1920er Jahren begann sich die Industrie daran zu gewöhnen, den Bereich<br />

der Werbung, der »public relations«, nach amerikanischen Vorbild als besonderen<br />

Sektor mit eigenen Regeln und Ansprüchen zu betrachten)3 Dieser<br />

Wandel der unternehmerischen Einstellung beeinflußte auch den Umgang mit<br />

der Politik. Während der Kapitalist des 19. Jahrhunderts aus seiner Distanz zu<br />

den Arbeitern keinen Hehl zu machen pflegte, grassierten jetzt produktivistische<br />

Ideologien, die die Betriebsgemeinschaft gegen den Klassenkampf auszuspielen<br />

suchten. Erst in dieser Situation wird ein Bündnis der Industrie mit einer<br />

Bewegung wie dem Faschismus möglich: einer Bewegung, die sich selber<br />

teilweise als Sozialismus ausgab und im übrigen geradezu besessen von der<br />

Sucht nach Propaganda war.<br />

Aber seinen besonderen Beigeschmack bekam der Faschismus durch den<br />

Dunst von Gewalt, der ihn umgab, und Sympathisanten mußten sich nicht zuletzt<br />

hierdurch angezogen fühlen - ob sie es zugaben oder nicht. Das gilt auch<br />

für die Industrie)4 Wie ist dieser entscheidende Aspekt zu interpretieren? Hier<br />

scheint <strong>das</strong> Bündnis Industrie/Faschismus - <strong>das</strong> in beiden Fällen seine Vollendung<br />

erst im Zuge der Durchsetzung der faschistischen Diktatur erlangte - eine<br />

historisch weit zurückreichende Schizophrenie des Kapitalismus zu spiegeln,<br />

die an <strong>das</strong> Doppelleben von Brechts »gutem Menschen von Sezuan« - an die<br />

gute Shen Te und den bösen Shui Ta - erinnert. Immer hatte der solide, vorsichtige,<br />

liberale, kultivierte Kapitalismus einen Doppelgänger besessen in einem<br />

abenteuerlichen, spekulativen, den Kulturnormen spottenden und mit<br />

brachialer Gewalt spielenden Kapitalismus. Dieser andere Kapitalismus kennzeichnet<br />

nicht nur frühneuzeitliche Phasen der »ursprünglichen Akkumulation«,<br />

sondern trieb auch in der Ära des Imperialismus ausgiebig sein Wesen;<br />

und man darf nicht vergessen, daß der Faschismus ganz wesentlich in der<br />

Nachfolge des Imperialismus steht und nicht zufällig in Situationen des verhinderten<br />

Imperialismus aufkam. Die Umkehr führender Industriekreise vom Liberalismus<br />

zum Faschismus, von Giolitti zu Mussolini oder von Stresemann zu<br />

Hitler, konnte sich ohne langwierigen Lernprozeß vollziehen, weil die Anlehnung<br />

an den starken Staat schon seit Jahrhunderten zu den Strategien des Ka-<br />

DAS ARGUMENT 146/1984 ©

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