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Vollversion (1.42 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen

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10<br />

das Räderwerk der sozialdemokratisch-amerikanischen<br />

Beziehungen zu ölen. Und natürlich<br />

musste man auch in diesem Falle fragen: Wird<br />

es wiederum Enttäuschung und Desillusionierung<br />

geben, und in welcher Form werden sie<br />

sich manifestieren?<br />

Die Gesetzmäßigkeit des sozialdemokratischen<br />

Euphorie-Dämonisierungs-Zyklus ließ<br />

auch diesmal nicht lange auf sich warten; die<br />

nächste Dämonisierung lauerte, wenn der Kalauer<br />

erlaubt ist, auch diesmal im Busch, und<br />

der auf Clinton folgende republikanische Präsident<br />

George W. Bush lieferte tatsächlich und<br />

in der sozialdemokratischen Imagination bereitwillig<br />

alle Ingredienzien, die für die Würde<br />

eines Herrschers im Reich des Bösen notwendig<br />

sind.<br />

Aber zunächst genoss Bush, genossen die<br />

Amerikaner auch hier, und zwar in extremer<br />

Form, das freundliche Fremdeln eines sozialdemokratischen<br />

Kanzlers, der im Überschwang<br />

der Betroffenheit ‚uneingeschränkte Solidarität‘<br />

verkündete angesichts des 11. Septembers<br />

2001. ,Fremdeln‘ auch hier? Ja, vielleicht schon;<br />

denn: Wie groß war die Anteilnahme, der<br />

Schmerz wirklich? Erinnerten die Trauerkundgebungen<br />

nicht allzu sehr an reflexartige – fast<br />

hätte ich gesagt: allzu protestantische – Griffe<br />

zu Kerzen und Lichterketten? Wir sollten unseren<br />

amerikanischen Freunden und Partnern von<br />

Herzen den Trost und die politische Ermutigung<br />

gönnen, die sie aus den deutschen Trauerkundgebungen<br />

gewonnen haben; jedoch ist unübersehbar,<br />

dass manche Demonstration und<br />

mancher Demonstrant mehr an den Bonner<br />

Hofgarten als an eine Trauerbekundung erinnert<br />

hat. Christoph Schwennicke hat zurecht<br />

über die zweihunderttausend Teilnehmer der<br />

Kundgebung am Brandenburger Tor am 14. 9.<br />

2001 gesagt, dass ihr Beistand „durchwegs konditioniert“<br />

erschienen sei; symbolisch dafür hätten<br />

die vier Worte „Trauer, aber kein Krieg“ auf<br />

dem von einem Mädchen gehaltenen Transparent<br />

gestanden. 4<br />

Werner Kremp<br />

Gewiss, die weit überwiegende Mehrheit der<br />

Deutschen stand damals hinter ihrem Kanzler,<br />

als er uneingeschränkte Solidarität gegenüber<br />

der schwer getroffenen Bündnisvormacht gelobt<br />

hatte, und fast die Hälfte konnte sich<br />

(jedenfalls unmittelbar nach dem Attentat) mit<br />

Peter Strucks „Jetzt sind wir alle Amerikaner“<br />

identifizieren. 5 Aber die weitere Entwicklung<br />

der Stimmungslage der Nation gegenüber den<br />

USA und ihrem Präsidenten zeigt, wie flüchtig<br />

das Solidaritätselement in den Trauerbekundungen<br />

war, und wie unfähig der Kanzler und die<br />

von ihm Repräsentierten waren zu verstehen,<br />

wie sehr die Amerikaner durch den Terrorakt<br />

traumatisiert worden sind. Dass Kanzler Schröder<br />

dann im Wahlkampf 2002 hemmungslos<br />

den Antiamerikanismus mobilisierte, als es in<br />

seine politischen Ziele passte, lässt rückwirkend<br />

fragen, ob die vorangegangene Erklärung bedingungsloser<br />

Solidarität nicht auch in hohem<br />

Maße dem Wunsch entsprach, auf einer Stimmungswoge<br />

zu reiten.<br />

4 Determinanten des sozialdemokratisch-amerikanischen<br />

Verhältnisses<br />

Doch kommen wir nochmals auf einige grundsätzliche<br />

Aspekte zu sprechen, auf einige Determinanten<br />

des sozialdemokratisch-amerikanischen<br />

Verhältnisses, wie sie im Verlauf der Geschichte<br />

dieser Beziehungen erkennbar sind und<br />

diese wiederum prägen. Es handelt sich dabei<br />

um eine Reihe von tatsächlichen oder zumindest<br />

mit guten Gründen zu vermutenden historischen<br />

Vorbelastungen des sozialdemokratisch-amerikanischen<br />

Verhältnisses. Vier davon will ich<br />

nennen.<br />

1. Wenn wir eine Zeittafel der Entwicklung<br />

der USA und der deutschen Sozialdemokratie<br />

seit ihrer jeweiligen offiziellen Gründung, also<br />

seit 1776 bzw. 1863, synoptisch gegenüberstellen,<br />

springt eines sofort ins Auge: Das sozialdemokratische<br />

Ordnungsmodell ist um einiges<br />

jünger als das amerikanische. Die ‚offiziellen‘

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