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<strong>Forschungsjournal</strong> NSB, Jg. 20, 4/2007<br />

Gerd Mielke<br />

Parteiensystem im Umbruch?<br />

Anmerkungen zur Großen Koalition<br />

1 Einleitung<br />

Die Bildung der Großen Koalition im Herbst<br />

2005 war nicht deshalb eine Überraschung, weil<br />

eine Große Koalition im Bund bisher nur einmal<br />

als kurze Ausnahme- und Übergangsphase vorgekommen<br />

war 1 . Das Überraschungsmoment<br />

bestand vor allem darin, dass die Große Koalition<br />

2005 durch Veränderungen des Parteiensystems<br />

erzwungen wurde, deren Umfang und<br />

Auswirkungen die meisten Beobachter erst unmittelbar<br />

nach der Wahl, also in dem Augenblick<br />

registrierten, in dem es zum Bündnis zwischen<br />

Union und SPD praktisch keine Alternativen<br />

gab. Gemäß der Logik des Parteiensystems<br />

als System kommunizierender Röhren hatten<br />

politisch-programmatische Schwenks und<br />

Umbrüche aus den Jahren davor, die sich<br />

zunächst jeweils ‚nur‘ in den beiden großen<br />

Parteien vollzogen, auch auf die anderen Parteien<br />

und damit auf die Zuordnung aller Parteien<br />

zu jeweils spezifischen Segmenten der Wählerschaft<br />

durchgeschlagen. Weder die SPD noch<br />

die CDU/CSU besaßen am Wahlabend genug<br />

Rückhalt, um eine der kleinen Koalitionen auf<br />

der Basis der den 1980er Jahren geltenden Lagertheorie<br />

bilden zu können. Es reichte weder<br />

für Schwarz-Gelb noch für Rot-Grün, und zum<br />

Aufbruch in neue Dreierbündnisse in neue Dreierbündnisse<br />

fehlte beiden großen Parteien Kraft<br />

und Wille.<br />

Unter diesen Umständen trat ein bei Verhältniswahlsystemen<br />

grundsätzlich angelegtes Problem<br />

verstärkt hervor. Die Wähler konnten zwar<br />

ihre Stimmen abgeben, aber sie hatten kaum<br />

Einfluss auf die aus den Wahlen hervorgehende<br />

Regierungsbildung. Damit war eine elementare<br />

Funktion der demokratischen Wahl, nämlich die<br />

Zuweisung der Regierungs- und Oppositions-<br />

25<br />

rollen, nicht mehr nachvollziehbar an das Wählervotum<br />

gebunden. Die von einigen Spitzenpolitikern<br />

bis heute immer wieder vertretene<br />

These, die Große Koalition entspräche einem<br />

Wählerauftrag an die beiden großen Parteien,<br />

ist deshalb eine Schutzbehauptung. Sie übersieht<br />

geflissentlich, dass der Wahlkampf 2005<br />

auf die Mobilisierung der politischen und ideologischen<br />

Gegensätze zwischen einem eher konservativ-liberalen<br />

und einem eher linken Lager<br />

in der Wählerschaft angelegt war und dass eine<br />

deutlich sichtbare Trennung in eben diese Lager<br />

auch das hervorragende Kennzeichen der deutschen<br />

Wählerschaft in den letzten beiden Jahrzehnten<br />

ausmacht.<br />

Dass zudem das linke Lager in der Bundesrepublik<br />

seit der Wiedervereinigung Zug um<br />

Zug bis Ende der 1990er Jahre zu einer strukturellen<br />

Mehrheit anwachsen konnte und die Sozialdemokraten<br />

dabei 1998 und 2002 die Position<br />

der stärksten Partei eroberten, verstärkt den<br />

Überraschungsgehalt der Großen Koalition. In<br />

ihr stellt nämlich die Union die Kanzlerin und<br />

verfügt zudem durch ihre drückende Übermacht<br />

auf der Landesebene und im Bundesrat über<br />

eine fast uneinnehmbare Veto-Position gegenüber<br />

allen Ansätzen eine Politik wie auch immer<br />

definierter linker Provenienz.<br />

Nachdem nun die erste Hälfte der Legislaturperiode<br />

der Großen Koalition abgeschlossen<br />

ist und damit auch schon die Bundestagswahl<br />

2009 am politischen Horizont auftaucht, drängen<br />

sich eine Reihe von Fragen zur Entstehung<br />

dieser neuen parteisystemischen Konstellationen,<br />

vor allem aber zur künftigen Entwicklung<br />

des Parteienwettbewerbs in der Bundesrepublik<br />

auf. Drei dieser Fragen sollen im Folgenden<br />

gewissermaßen als parteisystemische Halbzeitbilanz<br />

der Großen Koalition diskutiert werden.

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