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Vollversion (1.42 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen

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Pulsschlag<br />

ziale <strong>Bewegungen</strong>, Netzwerke vielfältiger Art.<br />

Aus einer normativen Perspektive erscheint die<br />

Zivilgesellschaft als öffentlicher Raum, in dem<br />

sich Akteure über Fragen von allgemeinem Interesse<br />

auseinandersetzen und sich letztlich in<br />

verständigungsorientierterweise aufeinander<br />

beziehen. Insbesondere in Theorien deliberativer<br />

Demokratie wandern die normativen Grundlagen<br />

kommunikativen Handelns in die Konstitution<br />

des sozialen als öffentlichen Raums von<br />

vorneherein ein.<br />

Ein machtanalytischer Blick auf zivilgesellschaftliches<br />

Handeln kann in Kontrast zu einer<br />

normativen Perspektive deutlich machen, dass<br />

Gruppenzugehörigkeit und Mitgliedschaft in<br />

freiwilligen Vereinigungen durch die Stellung<br />

der Akteure im sozialen Raum vorstrukturiert<br />

ist und dass sich daraus Spannungen zu den<br />

normativen Prinzipien ergeben. In der Sozialtheorie<br />

Pierre Bourdieus meint sozialer Raum,<br />

„daß man nicht jeden mit jedem zusammenbringen<br />

kann – unter Missachtung der grundlegenden,<br />

zumal ökonomischen und kulturellen Unterschiede“<br />

(Bourdieu 1985: 14). Bourdieu begreift<br />

den sozialen Raum als in Felder untergliedert,<br />

in denen die Akteure relativ zu ihrer<br />

Verfügung über ökonomisches und kulturelles<br />

Kapital unterschiedliche Stellungen einnehmen.<br />

Gruppenbildung wird durch die ‚Nähe von Soziallagen‘<br />

zwar nicht objektiv determiniert, sondern<br />

lediglich wahrscheinlich. Es bilden sich<br />

aber gerade dadurch Affinitäten, die sich in der<br />

Zivilgesellschaft als sozialem Raum niederschlagen.<br />

Familien, Vereine, Verbände, ja selbst gewerkschaftliche<br />

und politische <strong>Bewegungen</strong>,<br />

sind Verbindungen, die solche Mitglieder anziehen,<br />

die mit Blick auf ihr ökonomisches und<br />

kulturelles Kapital relativ ähnlich im sozialen<br />

Raum situiert sind. Die relative soziale Trägheit,<br />

die durch den unter diesen Bedingungen<br />

geprägten Habitus hervorgebracht wird, sorgt<br />

dafür, dass wir die Nähe zu Personen und Ereignissen<br />

suchen, die das Milieu bestätigt, an<br />

das der Habitus vorangepasst ist 4 . <strong>Soziale</strong> Zu-<br />

89<br />

ordnung geschieht aufgrund mehr oder weniger<br />

bewusster Gruppenidentität, die Ausdruck<br />

sozialer Selbst- und Fremdzuschreibung sind.<br />

In diese fließen Ungleichheiten sozialer und<br />

politischer Macht unweigerlich ein. Auch bei<br />

Bourdieu spielt Sozialkapital eine Rolle: es dient<br />

dazu, die Identität und die Grenzen sozialer<br />

Gruppen zu behaupten. Allein in diesem Rahmen<br />

gewinnen Normen der Gegenseitigkeit<br />

Bedeutung. Als Kapital an sozialen Verpflichtungen<br />

und Beziehungen hat das soziale Kapital<br />

aus Bourdieus Sicht im wesentlichen einen<br />

‚Multiplikatoreneffekt‘: es verstärkt die über<br />

ökonomisches und kulturelles Kapital reproduzierte<br />

soziale Stellung. Weit davon entfernt, ein<br />

öffentliches Gut zu sein, ist Sozialkapital aus<br />

Bourdieus Perspektive eher ein öffentliches<br />

Übel: es dient der Herrschaftsstabilisierung und<br />

trägt zur Reproduktion sozialer Ungleichheit bei,<br />

indem es die einen in ihrer privilegierten und<br />

die anderen in ihrer unterprivilegierten Lage hält.<br />

Aus dieser Perspektive ist die Zivilgesellschaft<br />

als ein Raum zu beschreiben, in dem soziale<br />

Gruppen um materielle und symbolische Positionierung<br />

ringen. Ein öffentlicher Raum, in dem<br />

Sinne, dass er eine argumentative Auseinandersetzung<br />

(und normative Einigung) darüber ermöglichte,<br />

was Reziprozität im Rahmen gemeinsamer<br />

Bürgerschaft bedeuten könnte, ist das<br />

zunächst nicht.<br />

Szenarien ‚realer‘ Zivilgesellschaft<br />

Mit Pierre Bourdieu lässt sich in kritischer Hinsicht<br />

ein Verständnis sozialer Gruppen einführen,<br />

dass deutlich macht, inwiefern Gruppenzugehörigkeiten<br />

und damit zusammenhängende<br />

spezielle Reziprozitätsbezüge auch in modernen<br />

Gesellschaften etwas sind, worin wir uns<br />

vorfinden: die Zivilgesellschaft als sozialer<br />

Raum ist durch die Nähe von Soziallagen vorstrukturiert.<br />

Auch im Bereich zivilgesellschaftlichen<br />

Handelns finden sich daher Phänomene<br />

der Abgrenzung, sozialen Schließung, Distinktion<br />

und strategischen Positionierung. In Frage

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